BERLINER MORGENPOST: Der Teil-Rückzug Sarrazins

Thilo Sarrazin ist nicht so hart mit sich und
anderen, wie viele zu wissen glaubten. Er zieht sich aus dem
Bundesbank-Vorstand zurück und erspart damit der gesamten
Staatsspitze vom Bundespräsidenten über die Kanzlerin bis hin zum
Chef der Notenbank die Peinlichkeit, sich aufs juristische Glatteis
zu begeben, um den Unbotmäßigen in einem öffentlichen
Gerichtsverfahren aus seinem Amt zu werfen. Bei aller Lust zur
Provokation: Sarrazin ist kein Hasardeur. Der Mann war jahrzehntelang
Beamter, und zwar ein ziemlich hoher. Da klagt man nicht so eben mal
gegen den früheren Dienstherrn und seinen obersten Repräsentanten. Da
verzichtet er sogar eher auf eine mögliche Abfindung. Und obwohl er
„die politische Kaste“ wegen angeblicher Realitätsferne hart
kritisiert, so ist Sarrazin doch ein Mitglied eben jener Kaste. Da
tut es weh, wenn einen die alten Bekannten schneiden und die
Golffreunde einen mobben. Auch der Zuspruch aus dem Volk kann einen
elitär denkenden Menschen wie Sarrazin nicht mit dem Verlust seiner
sozialen Netzwerke versöhnen. Anders als politische Populisten vom
Schlage eines Ronald Schill in Hamburg ist Sarrazin auch kein
Revolutionär, der Spaß daran hat, für seinen eigenen Vorteil den
Staat und seine Institutionen in Bedrängnis zu bringen. Dass er die
Bundesbank beschädigt hat, ihren Ruf und ihre Aura als über den
tagespolitischen Händeln schwebende Hüterin der Geldwertstabilität,
das muss auch Sarrazin in den vergangenen Tagen aufgefallen sein.
Indem die Bank nun das bereits formulierte Sündenregister offiziell
zurückzog, eröffnete sie Sarrazin den Abgang ohne allzu starken
Gesichtsverlust. Die Möglichkeiten, seine zum Teil richtigen Analysen
zu Mängeln der Integration wie auch seine kruden Thesen zur Vererbung
von Intelligenz weiter zu verbreiten, haben sich mit dem Ausstieg aus
der Bundesbank eher verbessert. Jetzt, da er nicht mehr für eine
Institution mit ihren Grundsätzen steht, genießt der Publizist
vollkommene Redefreiheit. Eine Bundesbank konnte zu Recht verlangen,
dass ihr führender Mitarbeiter gewisse Standards wahrt und sich
mäßigt. Das ist auch bei anderen Arbeitgebern üblich. Die SPD darf
jedoch nicht darauf hoffen, dass Sarrazin denselben Schritt auch für
seine Partei vollzieht. Denn eine Partei ist anders als die
Bundesbank eine Gemeinschaft, deren Daseinszweck die Debatte und der
Streit über drängende politische Fragen der Gegenwart ist. Das sieht
auch Sarrazin so. Er kennt die Situation, in seiner Partei Gegenwind
zu haben. Und er wird den Streit mit seinen Genossen über Grenzen,
die er mit seinen Thesen zur Eugenik überschritten haben soll,
weiterhin suchen. Die SPD muss einen Weg finden, wie sie diese
Auseinandersetzung organisieren kann. Parteigerichte hinter
verschlossenen Türen werden nicht ausreichen, um den Eindruck vieler
Mitglieder und Wähler auszuräumen, hier würden unliebsame Debatten
weggedrückt.

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