BERLINER MORGENPOST: Der Versöhner und die Unversöhnlichen – Leitartikel

Timothy McVeigh zeigte keine Reue, als er 2001
hingerichtet wurde. Seine Anwälte hatte er angewiesen, nichts gegen
das Todesurteil zu unternehmen. „168:1“, soll er kurz vor der
Exekution gesagt haben. McVeigh hatte am 19. April 1995 einen
Lastwagen mit selbst gemischtem Sprengstoff vor ein
Verwaltungsgebäude in Oklahoma City gefahren. Die Detonation brachte
168 Menschen den Tod, 800 wurden verletzt. Über Motive und
Hintermänner hat der amerikanische Terrorist nie viel verraten.
Offensichtlich war nur, dass Hass auf die demokratische
Clinton-Regierung den rechtsextremen Waffennarren ebenso beseelte wie
jener irre Märtyrertrieb, der kein Monopol religiöser Fanatiker ist.
Auch wenn die Hintergründe des Blutbads von Arizona noch im Dunkeln
liegen, so sind Parallelen zu Oklahoma zu erkennen. Wie McVeigh
fühlte sich auch der Tatverdächtige Jared Lee L. abgehängt und
ausgegrenzt, er las angeblich Hitlers „Mein Kampf“, aber auch Karl
Marx und hasste offenbar Obama und die Demokraten. Der Kopfschuss auf
die demokratische Abgeordnete Gabriella Giffords kommt einer
versuchten Exekution gleich. Gut möglich auch, dass ihr jüdischer
Glaube eine Rolle spielte. Handelt es sich nun um psychisch verwirrte
Einzeltäter, die wie fast alle Amokschützen und Terroristen in einer
kranken Parallelwelt unterwegs sind, wo nur noch Rache zählt?
Geschehen solche Taten zwangsläufig immer mal wieder, unvorhersehbar
wie eine Naturkatastrophe? Arizonas Sheriff Clarence Dupnik mag die
Theorie vom grausamen Zufall nicht akzeptieren. Dupnik spricht von
einem gesellschaftlichen Klima des Hasses und der Vorurteile, das
psychisch instabile Charaktere weiter aufheize. In der Tat: Die
Zockereien der Wall Street, für die die amerikanischen
Durchschnittswähler bitter bezahlen, die unselige Melange von
ökonomischer Krise, Kriegen und damit einhergehendem Ego-Schaden hat
schwere Verwüstungen in der amerikanischen Seele angerichtet – tiefer
wurzelnd als die Traumata Waco, Somalia und Golfkrieg, die McVeigh
Mitte der 1990er umtrieben. Dem erklärten Versöhner Obama ist es
nicht gelungen, Amerikas Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt von
Denken und Handeln zu rücken. Im Gegenteil: Die Wahl des ersten
Farbigen ins Präsidentenamt scheint das Klima in manchen Gegenden und
Schichten zusätzlich zu vergiften. Betont wird in den USA derzeit
allenthalben das Trennende – die für jede Debatte notwendige
Polarisierung ist vielfach ins Unversöhnliche gekippt. Einst halbwegs
besonnene Medien scheuen vor Hetze nicht zurück, die sinistre Sarah
Palin markiert die Wahlkreise von Abgeordneten, die nicht in ihrem
Sinne stimmten, mit Fadenkreuzen, auch den von Gabriella Giffords. Es
wird kaum zu belegen sein, dass die Morde von Arizona in einem
gemäßigteren Klima nicht stattgefunden hätten. Gleichwohl sind die
Schüsse eine brutal klare Mahnung, die Regeln zivilisierten
Miteinanders und eines fairen politischen Diskurses neu zu beleben.
Gnadenloser Kampf der Kulturen darf kein innenpolitisches
Verhaltensmuster werden. Gegenseitigen Respekt ist die hochdynamische
und wettbewerbsharte US-Demokratie sich und der Welt schuldig.

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