Kurzform: Nein, Kim Jong-un hat nicht über Nacht
die Kunst der Charmeoffensiven entdeckt. Er verfolgt keine
Samthandschuh-Politik. Die große Korea-Show ist inszeniert, aus
eiskaltem taktischen Kalkül heraus. Kim geht es vor allem darum, die
internationale Sanktionsfront gegen seine Atom- und Raketentests
aufzulockern. An erster Stelle soll Südkorea mit den
Lockvogelangeboten geködert werden. Dessen linksliberaler Präsident
Moon ist besonders interessiert an einem Ausgleich mit dem Norden.
Kim sieht in ihm ein wichtiges Instrument, um den auf noch schärfere
Strafmaßnahmen pochenden US-Präsidenten Donald Trump abzubremsen.
Zugleich will er aber auch die EU-Staaten umgarnen, von denen
zumindest einige anfällig für diplomatische Tauwetter-Initiativen
sind.
Der vollständige Leitartikel: In der Boulevardpresse wird
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un gern als der „Irre von Pjöngjang“
gebrandmarkt. Es handele sich um einen post-pubertären Autokraten,
der sich einen perversen Spaß mache, mit seinen Atomwaffen- und
Raketenplänen die Welt zu schockieren, so die Lesart. Dieses Bild
geht an der Wirklichkeit vorbei. Kim agiert höchst rational. Er will
sein Regime retten – um jeden Preis. Die plötzlichen
Entspannungssignale Richtung Südkorea beruhen nicht auf einer
wundersamen Wandlung des Babyface-Diktators zum diplomatisch
versierten Staatsmann. Er will vielmehr das negative Image seines
Landes aufpolieren. Deshalb die Annäherungsversuche vor den
Olympischen Winterspielen in Südkorea. Nordkorea schickt eine
hochrangige politische Delegation, eigene Athleten, ein Orchester
sowie eine große Jubelgruppe zu den „Friedensspielen“. Erstmals tritt
eine gemeinsame Eishockey-Damenmannschaft an. Dazu der historische
Handschlag zwischen Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in und Kim
Jong-uns Schwester Kim Yo-jong, die wiederum eine Einladung zum
Staatsbesuch nach Nordkorea überbringt. Nein, Kim hat nicht über
Nacht die Kunst der Charmeoffensiven entdeckt. Er verfolgt keine
Samthandschuh-Politik. Die große Korea-Show ist inszeniert, aus
eiskaltem taktischen Kalkül heraus. Kim geht es vor allem darum, die
internationale Sanktionsfront gegen seine Atom- und Raketentests
aufzulockern. An erster Stelle soll Südkorea mit den
Lockvogelangeboten geködert werden. Dessen linksliberaler Präsident
Moon ist besonders interessiert an einem Ausgleich mit dem Norden.
Kim sieht in ihm ein wichtiges Instrument, um den auf noch schärfere
Strafmaßnahmen pochenden US-Präsidenten Donald Trump abzubremsen.
Zugleich will er aber auch die EU-Staaten umgarnen, von denen
zumindest einige anfällig für diplomatische Tauwetter-Initiativen
sind. Das heißt nicht, dass Nordkorea an seinem Nuklearwaffen- und
Raketenprogramm rütteln wird. Ganz im Gegenteil. Während die Welt die
schönen Olympia-Bilder von Pyeongchang genießt, nutzt Kim die Zeit
zur Weiterentwicklung seines Arsenals. Er strebt nach Atomgeschossen,
die die USA erreichen können. Sie wären für ihn politisches Droh- und
Erpressungspotenzial – und am Ende die gewünschte Lebensversicherung
für sein stalinistisches Herrschaftsmodell. Nordkoreas Staatschefs
haben die Militärinterventionen der Amerikaner im Irak und in Libyen
genau studiert und ihre Schlüsse daraus gezogen. Die Lage ist aber
noch komplizierter. Pjöngjang hat politisch geschmeidige Verbündete:
China und Russland. Beide Länder unterstützen zwar offiziell
UN-Resolutionen zur Verhängung von Sanktionen gegen Nordkorea, aber
nicht mit letzter Konsequenz. Sie wollen einen Zusammenbruch des
Regimes mit massiven Flüchtlingswellen ebenso verhindern wie – nach
einer Wiedervereinigung Koreas – US-Truppen an der Grenze zu China.
Deshalb gibt es immer wieder Schlupflöcher zur Umgehung des
Handelsstopps. Trump wäre daher gut beraten, über seinen Schatten zu
springen und direkte Gespräche mit Nordkorea zu beginnen. Es gilt,
dem paranoiden Kim-Clan durch eine Nichtangriffsgarantie die Angst
vor dem eigenen Untergang zu nehmen. Dafür sollte sich Pjöngjang
verpflichten, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Zugegeben, eine
diplomatische Herkulesarbeit, die viel Fingerspitzengefühl und langen
Atem erfordert. Aber einen Versuch wäre es wert. Eine vernünftige
Alternative ist nicht in Sicht.
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