BERLINER MORGENPOST: Die Stunde der Diplomatie – Leitartikel

Raketen zerstören Panzer im Wüstensand, Bomber
fliegen durch die Nacht, Flugzeugträger manövrieren im Mittelmeer: Es
ist der Moment des Militärs, der da in Libyen zu besichtigen ist. Die
Macher in Uniform sind am Drücker, so lautet die Botschaft an Gaddafi
und die Welt: Die Gemeinschaft handelt, und sie ist stark. Und
dennoch ist dieser erste Eindruck falsch. Denn politisch ist die
Gemeinschaft schwach. Was entschieden begann, mit einem überraschend
schnellen und daher auch historischen Beschluss des
UN-Sicherheitsrates für die Intervention in Libyen, droht zum
politischen Desaster zu werden. Denn viele scheinen vergessen zu
haben, dass eine internationale Intervention vor allem eines ist: die
Stunde der Diplomatie. Wo ist die Pendeldiplomatie eines hartnäckigen
Verhandlungsprofis zwischen Alexandria, Riad, Paris, Istanbul,
Washington, Moskau? Wo ist das mühsame Schmieden von stabilen
Koalitionen, das der Befreiung Kuwaits im ersten Irakkrieg vorausging
– der als klassischer zwischenstaatlicher Konflikt noch
verhältnismäßig klar zu handhaben war? Stattdessen zerbröselt ein
schwächlicher Konsens mit der Arabischen Liga, mit Moskau und manchem
westlichen Verbündeten schon bei der ersten Angriffswelle auf
Gaddafis Stellungen. Schon fliegen in Ägypten Steine auf den
UN-Generalsekretär, der doch eigentlich als Heilsbringer gepriesen
werden müsste. Schon nähert sich die Rhetorik eines Wladimir Putin
der des libyschen Machthabers, wenn er von Kreuzzug spricht. Wo sind
die neuen Holbrookes, Christophers und Albrights, die das diskrete
und manchmal auch schmutzige Geschäft der Realpolitik beherrschten,
den unangenehmen Dialog zwischen den Teufeln der Macht und den Engeln
des Friedens? Stattdessen trumpft mit Nicolas Sarkozy ein
innenpolitisch in Affärenfarben schillernder Präsident als
Friedensfeldherr auf – ohne dabei die arabischen Gesprächspartner
oder die eigenen Verbündeten beisammen halten zu können. Und die
geschicklose Außenpolitik des Sicherheitsratsmitglieds Deutschland
unter dem Außenminister Westerwelle macht nicht nur seine Landsleute
ratlos. Wo ist ein politisch durchsetzungsfähiger General wie Colin
Powell? Der als US-Befehlshaber gegen die Invasion des Iraks in
Kuwait wusste, dass militärische Mittel auch klare Ziele brauchen.
Und dass es bei jedem Schritt in ein Land auch eine glasklare
Strategie geben muss, wie man wieder herauskommt. Fakt ist: Wir haben
eine veritable weltpolitische Krisenlage an der Bruchlinie zwischen
Europa und dem arabischen Raum. Mithin der wichtigsten
geostrategischen Frontlinie der post-bipolaren Welt. Doch wir haben
keine politischen Akteure, die das Instrumentarium der Diplomatie
beherrschen: Zuckerbrot und Peitsche bei klarer wertepolitischer
Perspektive. Kein Zweifel: Eine militärische Intervention in Libyen
ist richtig. Doch sie kann nur die Ouvertüre für eine umfassende
diplomatische Offensive sein. Einfach ist das nicht, keine Frage.
Doch die politische, wirtschaftliche und militärische Macht dazu
hätten Nato, EU und UN. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“,
sagte Karl Valentin. Abgewandelt mag man diesen Satz gerne all
denjenigen zuwerfen, die sich in der höchsten und schwierigsten
Staatskunst versuchen, nämlich der internationalen Politik.

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