BERLINER MORGENPOST: Die Wähler wollen Antworten Carsten Erdmann über den beginnenden Wahlkampf und die Planspiele der Parteien in Berlin

Die Einladungslisten der großen Berliner
Veranstaltungen werden in diesen Tagen um einen Namen ergänzt: Renate
Künast. Betrachtet man die jüngsten Umfragen, hat die
Spitzenkandidatin der Grünen den Bundestrend im Rücken und derzeit
tatsächlich Chancen, Dauergast im Roten Rathaus zu werden. In den
Berliner Parteien haben daher Planspiele begonnen: Klaus Wowereit,
daran besteht wenig Zweifel, wird bei einer Wahlniederlage
zurücktreten, mit ihm wohl auch der Landesvorsitzende Michael Müller.
Im Machtvakuum hinter den beiden prominenten Sozialdemokraten wird
der linke Parteiflügel eine neue SPD-Führung stellen und zahlreiche
Positionen neu besetzen. Die Bewerbungsgespräche laufen. Angesichts
des Personalangebots könnte es nach der Wahl allerdings zu der
bizarren Situation kommen, dass sich ausgerechnet das Bürgertum nach
einer von Wowereit geführten SPD zurücksehnt. Der Koalitionspartner
Die Linke beginnt seit einigen Wochen wieder damit, alte
Klientelpolitik zu machen, um zu zeigen, dass man kein reiner
SPD-Ableger und eine Alternative zu den Grünen sei. Der
Wirtschaftssenator legt sich mit der Wirtschaft an. Die
Umweltsenatorin will Hauseigentümer zur Kasse bitten. Und alle
gemeinsam marschieren Hand in Hand gegen die Besserverdiener. In der
Berliner CDU trägt man derweil bevorzugt Grün. Die Union flirtet und
bietet sich als Juniorpartner einer grün-schwarzen Landesregierung
an. Eine solche Regierungskonstellation ist allerdings angesicht der
Stimmung an der grünen Basis nur vorstellbar, wenn Klaus Wowereit die
Wahl gewinnt und die Grünen mit der CDU koalieren müssten, um ins
Rote Rathaus zu ziehen. Taktik bestimmt das Handeln, Kernpositionen
werden zur Nebensache. Der bürgerliche Stammwähler wundert sich.
Innerparteilich feiert man einen Burgfrieden: Geschlossen will die
Partei im Januar den bodenständigen Frank Henkel gegen Klaus Wowereit
und Renate Künast ins Rennen schicken. In der zweiten Reihe herrscht
allerdings weiter die alte Versorgungsmentalität. Quereinsteiger
werden in den Kreisverbänden immer noch zugunsten alter Seilschaften
aus den Ämtern gedrängt. Spitzenkandidat Henkel will Konsens – und
schweigt. Ein grundsätzliches Problem ist aber, dass im
Parteienspektrum der Stadt langsam eine Schieflage droht. Die
etablierten Parteien haben in Berlin nach den letzten Umfragen keine
Mehrheit mehr. Die Positionen auf der linken Seite verschwimmen.
Grüne, Die Linke, eine linke SPD, Liberale ohne persönliches und
politisches Profil und eine CDU, die konservative Positionen aus
Rücksicht auf einen möglichen Koalitionspartner nicht wirklich
offensiv vertritt, öffnen eine rechte Flanke. Gruppierungen wie „Pro
Deutschland“ haben sich bereits für 2011 in die Bezirksversammlungen
zur Wahl angemeldet. Die Stimmung der Wähler sei sehr volatil, also
veränderlich, sagt der erfahrene Demoskop Richard Hilmer von
Infratest Dimap. Das Ergebnis der Wahl steht noch lange nicht fest.
Gewählt wird in gut zehn Monaten. Die Parteien sollten sich bis dahin
weniger mit Koalitionstaktik und Postengeschacher als vielmehr mit
Inhalten und den zentralen Problemen unserer Stadt beschäftigen – und
Antworten geben. Die Frage ist ganz einfach: Wie würden Sie Berlin
besser regieren?

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