BERLINER MORGENPOST: Endlich eine Herausforderung – Leitartikel

Eines ist sicher: Es wird ein interessanter
Wahlkampf in Berlin, denn Renate Künast hat sich entschlossen, als
Spitzenkandidatin der Grünen bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin
anzutreten, auch wenn sie das offiziell erst am 5. November mitteilen
wird. Ihr Schweigen ist inzwischen zwar ein bisschen albern, aber die
Inszenierung sei ihr und ihrer Partei gegönnt. Für Berlin ist die
Entscheidung der Grünen-Politikerin, die seit fünf Jahren die
Fraktion im Bundestag führt, gut. Denn endlich gibt es eine
Herausforderung für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit
(SPD). Bei der Abgeordnetenhauswahl 2001 stand fest, dass die SPD
gewinnen würde, offen war nur, welche Koalition es anschließend geben
würde. Wir wissen, es wurde Rot-Rot. 2006 stand der Wahlsieger
eigentlich auch schon fest, denn die CDU schickte Friedbert Pflüger
ins Rennen und hatte nie eine Chance. Wiederum war nur offen, welche
Koalition anschließend regieren würde: Rot-Grün oder Rot-Rot.
Wowereit entschied sich erneut für Rot-Rot. Nun, im nächsten Jahr
wird das anders. Renate Künast ist eine ernst zu nehmende Gegnerin.
Sie kennt Berlin, lebt sie doch seit 33 Jahren in der Stadt, hat hier
den Fall der Mauer und die Entwicklung zur Hauptstadt, zum neuen
Berlin erlebt. Die Kommunalpolitik ist ihr nicht fern, war sie doch
viele Jahre Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Und wie
die Umfragen zeigen, kommt die 54-Jährige an beim Volk – genauso wie
die Grünen, die in den Befragungen derzeit bei 28 Prozent in Berlin
liegen. Die Berliner können sich also freuen auf einen
abwechslungsreichen, auch auf einen emotionalen Wahlkampf, denn
Wowereit weiß, dass es für ihn um alles geht. Doch wer jetzt schon
meint, die Wahl sei entschieden, der sei gewarnt. Genauso wie die
vielen bürgerlichen Menschen, die sich derzeit hinter den Grünen
scharen und hoffen, dass mit Renate Künast alles besser, alles gut
werde in Berlin. Die Grünen sind eine Partei im linken Spektrum, die
Basis würde am liebsten mit der SPD regieren – egal ob unter Künast
oder Wowereit. Die Grünen lehnen die Autobahnverlängerung A 100 ab –
genauso wie die Linken. Die Grünen finden die Sekundarschule von
Rot-Rot gut und sind keine Freunde des Gymnasiums. Sie sind für
strenge Klimaschutzregeln, Parkraumbewirtschaftung und werden auch
keine finanziellen Wohltaten verteilen. Die Liste ließe sich
verlängern. Gewählt wird in Berlin in knapp einem Jahr, am 18.
September. Bis dahin wird Renate Künast erklären müssen, wie sie die
Stadt regieren will, was sie anders machen wird als Wowereit und mit
wem sie ihre Ideen umsetzen will. Der Regierende Bürgermeister wird
die Zeit für eine Charmeoffensive nutzen und sich keine Gelegenheit
entgehen lassen, mit den Berlinern ins Gespräch zu kommen. Wowereit
ist, wir wissen es, ein guter Wahlkämpfer. Es wird spannend in
Berlin.

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