BERLINER MORGENPOST: Es geht um Deutschland / Leitartikel von Jörg Quoos zum Asylstreit

Kurzform: Trotz der absurden Hürden, die beide
Seiten jetzt aufgebaut haben, müssen sich Angela Merkel und Horst
Seehofer einigen. Jeder muss einen Schritt tun – egal, wie schwer er
fällt und wie zerrüttet ihr persönliches Verhältnis auch sein mag.
Die Kanzlerin muss den Wunsch nach mehr Grenzschutz ernster nehmen.
Das erwarten auch die vielen Unzufriedenen in ihrer Partei, die sich
nur aus Loyalität aber gegen die eigene Überzeugung hinter Angela
Merkel gestellt haben. Horst Seehofer muss im Gegenzug die Ultimaten
einsammeln und wahre Führungsstärke zeigen. Der CSU-Chef darf nicht
länger der Getriebene von Männern sein, die alles sind – nur nicht
seine „Parteifreunde“. Diejenigen, die ihn rückhaltlos im Kurs gegen
die Kanzlerin unterstützen, wollten ihn noch vor Kurzem eiskalt los
sein.

Der vollständige Leitartikel: Jetzt ist er also da – der Showdown
zwischen der Kanzlerin und dem CSU-Chef. Gut so, möchte man sagen.
Denn das Schauspiel, das CDU und CSU in den vergangenen 14 Tagen
abgeliefert haben, ist keinen Tag länger zu ertragen. Eine
Entscheidung muss jetzt her, und es geht um viel mehr als nur um
Rechthaberei zwischen CDU-Chefin und CSU-Chef. Es geht um die Fragen,
die unsere Zukunft betreffen: Behält Europas wichtigste
Industrienation einen handlungsfähige Regierung? Hält Europa trotz
aller Schwierigkeiten zusammen? Und bleibt die Union eine starke
politische Kraft – oder marschiert sie Richtung Untergang? Das wäre
keine Schwarzmalerei. Die Konservativen in Italien und Frankreich
haben es schon hinter sich – mit dramatischen Folgen. In Frankreich
hängt das Schicksal einer bürgerlichen Regierung ausschließlich an
der Person Emmanuel Macrons. Und in Italien hat das Verschwinden der
Democrazia Cristiana eine historische Lücke gerissen. Es war bislang
eine große Stärke der deutschen Nachkriegspolitik, dass bei den
Schicksalsfragen der Nation in den Parteien das
Verantwortungsbewusstsein über egoistische Einzelinteressen gesiegt
hat. Sogar historische Dickschädel wie Franz Josef Strauß und Helmut
Kohl spürten im entscheidenden Moment die Verantwortung für das große
Ganze. Auch sie hatten die Macht das Gemeinsame zu zerstören – aber
entschieden sich anders. Angela Merkel und Horst Seehofer sollten sie
sich die beiden als Vorbild nehmen. Besonders die erste Reihe der CSU
kann vom legendären Strauß in diesen Tagen viel lernen. Der
kraftvollste CSU-Politiker aller Zeiten hatte nie „nur Bayern“ im
Blick. Strauß dachte größer. Realpolitik mit der DDR, europäische
Industriepolitik und immer auf Augenhöhe mit den mächtigsten Führern
der Welt. Genau aus diesem Anspruch hat Bayern viel Kraft und
Selbstbewusstsein geschöpft. „FJS“ würde sich im Grabe umdrehen, wenn
er das Klein-Klein seiner Nachfolger noch erleben müsste. Und die
Kanzlerin kann von Helmut Kohl lernen, dass man seine Partner weder
in Deutschland noch in Europa mit einsamen Entscheidungen überfordern
darf. Angela Merkels Sonderweg in der Flüchtlingspolitik war
großherzig. Aber er hat sie von der Schwesterpartei CSU und den
europäischen Nachbarn entfernt. Das war ein hoher Preis und macht die
Suche nach der großen gemeinsamen Lösung jetzt so schwer. Trotz der
absurden Hürden, die beide Seiten jetzt aufgebaut haben, müssen sich
Angela Merkel und Horst Seehofer einigen. Jeder muss einen Schritt
tun – egal, wie schwer er fällt und wie zerrüttet ihr persönliches
Verhältnis auch sein mag. Die Kanzlerin muss den Wunsch nach mehr
Grenzschutz ernster nehmen. Das erwarten auch die vielen
Unzufriedenen in ihrer Partei, die sich nur aus Loyalität aber gegen
die eigene Überzeugung hinter Angela Merkel gestellt haben. Horst
Seehofer muss im Gegenzug die Ultimaten einsammeln und wahre
Führungsstärke zeigen. Der CSU-Chef darf nicht länger der Getriebene
von Männern sein, die alles sind – nur nicht seine „Parteifreunde“.
Diejenigen, die ihn rückhaltlos im Kurs gegen die Kanzlerin
unterstützen, wollten ihn noch vor Kurzem eiskalt los sein. Mit
seinem Gang nach Berlin hat sich Horst Seehofer vor wenigen Monaten
entschieden. Er schwor – wie die Kanzlerin – mit Hand auf der Bibel
und bei Gott den Eid, seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes“ zu
widmen. Vom „bayerischen Volke“ allein war dabei nicht die Rede.

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