BERLINER MORGENPOST: Kommentar zum Netanjahu-Besuch

Beeindruckt und besorgt schauen wir auf Israel.
Seit seiner Gründung vor 63 Jahren ringt der Staat Israel, die
einzige Demokratie im Nahen Osten, um seine Existenz. Er hat vier
Kriege führen müssen um zu überleben. Und findet noch immer keine
Ruhe, keinen Frieden, seine schärfsten Feinde drohen ihm unverhohlen
weiter die Vernichtung an. In diesen Wochen sieht der Staat der Juden
neuen Unsicherheiten entgegen. Denn noch ist völlig offen, wie die in
den arabischen Diktaturen Nordafrikas entflammten revolutionären
Entwicklungen enden. Eine bange Frage, die Israel bewegt.
Insbesondere angesichts der politischen Zukunft Ägyptens – der
Nachbar, der als erster arabischer Staat zum Friedensschluss bereit
war und dem bislang allein Jordanien gefolgt ist. Wird dieser Frieden
auch unter den Nachfolgern Mubaraks halten? Werden die Umwälzungen in
Tunesien, Libyen und möglicherweise weiteren despotisch beherrschten
nahöstlichen Ländern wirklich zu demokratischen Verhältnissen führen,
wie alle Welt hofft? Oder doch zu noch mehr Radikalismus auch
gegenüber dem jüdischen Staat, wie manche befürchten? In einem
unsicheren Umfeld braucht Israel verlässliche Freunde. In dieser
Hinsicht war der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin
Netanjahu in Berlin eine Begegnung bei Freunden. Diese Freundschaft
ist aus schrecklicher Geschichte gewachsen – und Deutschland trägt
eine besondere Verantwortung. Das Schicksal der millionenfach
gemordeten Juden, die sich in keinen eigenen Staat als letzten
Zufluchtsort hätten retten können, hat nach dem Zweiten Weltkrieg und
Beschluss der Vereinten Nationen zur Gründung des Staates Israel
geführt. Diesen Staat zu verteidigen, ist zur Grundkonstante
deutscher Politik geworden. Sie ist und bleibt eine Verpflichtung
aller Deutschen – und für viele auch eine Herzensangelegenheit.
Verlässliche Freunde müssen auch Meinungsunterschiede austragen und
ertragen. Dass der Friedensprozess im Nahen Osten, konkret die
Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis, seit Jahrzehnten
nicht wirklich vorangekommen und seit September vergangenen Jahres
unterbrochen ist, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem
gestrigen Gespräch mit Netanjahu zu erneuter Kritik veranlasst. Dabei
geht es vor allem um Israels Siedlungspolitik in den besetzten
palästinensischen Gebieten. Sie gilt derzeit als das höchste
Hindernis in den Verhandlungen um eine Zwei-Staaten-Lösung, die
einerseits Israel Sicherheit und damit Frieden bringen, andererseits
zum ersten Mal auch den Palästinensern einen eigenen Staat zubilligen
soll und damit Befreiung von israelischer Bevormundung und
Abhängigkeit. Erst Anfang der Woche hat Netanjahu die Baugenehmigung
für ein weiteres Wohnprojekt jenseits der Jerusalemer Stadtgrenze auf
besetzten palästinensischem Gebiet erteilt. Noch immer ist das
Misstrauen zwischen Israelis und Palästinensern zu groß, um in der so
wichtigen Siedlungsfrage einen Kompromiss zu finden. Doch ohne ihn
gibt es wohl keine Lösung. Ein offener und ehrlicher
Meinungsaustausch ist Teil einer unverbrüchlichen Freundschaft. Dass
sich diese so tief zwischen Deutschland und Israel in den vergangenen
Jahrzehnten verwurzeln konnte, ist Versicherung auch für die Zukunft:
Deutschland steht an der Seite Israels. Das gilt immer – vor allem
auch in schwierigen Zeiten. Solchen wie heute.

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