BERLINER MORGENPOST: Kommentar zur Rückkehr der Schaffner bei der Berliner BVG

Für die leidgeprüften Nutzer des Berliner
Nahverkehrs ist das die erste gute Nachricht seit Monaten der
Tristesse, des Ausharrens auf eisigen S-Bahnsteigen und des
vergeblichen Wartens auf den Bus. Die BVG will ihre Fahrgäste nicht
mehr als misstrauisch zu beäugende Beförderungsfälle behandeln,
sondern als zahlende Kunden. Sichtbarstes Zeichen für den Stil, den
die neue BVG-Chefin Sigrid Nikutta der landeseigenen Anstalt
öffentlichen Rechts verordnen möchte, ist der Verzicht auf
Kontrolleure in Zivil. Immer wieder gab es in der Vergangenheit
Klagen, die mit Schwarzfahrer-Fangprämien motivierten
Sicherheitsleute hätten ahnungslose Touristen wie Gauner behandelt
oder sich zahlenden Kunden gegenüber respektlos verhalten. Dass nun
Menschen in Uniform, die sichtbar zum Unternehmen BVG gehören, die
Tickets anschauen, soll so etwas verhindern. Zumal diese eher
klassischen Schaffner eben nicht nur Schwarzfahrer aufspüren, sondern
auch als Ansprechpartner fungieren und für Sicherheit sorgen sollen.
Die erste Frau an der BVG-Spitze setzt auf Verbesserungen, die kein
zusätzliches Geld kosten, aber die Atmosphäre verändern. Natürlich
werden nun ein paar Halbstarke die Gelegenheit nutzen wegzurennen,
wenn sie Uniformierte auf dem Bahnsteig sehen. Die Zahl der
Schwarzfahrer wird vielleicht ansteigen. Aber diese Verluste können
durch ein freundlicheres Dienstleister-Image der BVG ausgeglichen
werden. Wenn nie wieder ein Busfahrer kalt lächelnd anfährt, wenn
abgehetzte Fahrgäste an die Tür klopfen, kann es gelingen, mehr
Menschen in Busse, U-Bahnen und Trams zu locken und die Marke von
einer Milliarde Fahrgäste pro Jahr zu knacken. Mehr zahlende Kunden
zu gewinnen ist der einzige Hebel, den die neue Vorstandsvorsitzende
in der Hand hält, um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu
verbessern, wenn die Preise gerade erhöht und die Tarife für
Mitarbeiter gesetzt sind. Aber Autofahrer steigen eher nicht um, wenn
sie befürchten müssen, in Bussen oder im Untergrund von herrischem
Personal angeraunzt zu werden. Dass zudem die Takte auf wichtigen
Strecken am Wochenende verdichtet werden, ist eine notwendige
Ergänzung zur Charme-Offensive. BVG-Chefin Nikutta setzt mit ihrer
Forderung nach einem „Mentalitätswechsel“ unter ihren mehr als
12000 Mitarbeitern einen bewussten Kontrapunkt zur S-Bahn.
Die Bahn-Tochter ist wegen ihrer technischen Probleme weit entfernt
davon, über erhöhte Service-Qualität auch nur nachzudenken. Wenn es
Nikutta gelingt, die BVG kundenfreundlicher zu machen und das
notorisch mürrische Auftreten ihrer Leute zu verändern, setzt die
frühere Bahn-Managerin die S-Bahn noch mehr unter Zugzwang. Sie kann
beweisen, dass nicht „Erlöse um jeden Preis“ den Erfolg eines
Verkehrsunternehmens ausmachen, sondern auch die Akzeptanz der
Fahrgäste und gute Kommunikation mit den Nichtkunden. Geht die
Rechnung auf, dann zeigt die BVG, dass sie vielleicht doch in der
Lage wäre, auch den S-Bahn-Betrieb zu übernehmen, wie das nicht
wenige in der rot-roten Koalition als Weg aus der Verkehrskrise
bevorzugen. Das Kalkül ist einfach, aber menschlich: Wenn man gut
behandelt wird, akzeptiert man auch eher, wenn der Bus auf eisglatter
Straße später kommt oder die S-Bahn mal eine Panne hat.

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