Eine Klarstellung zur Beruhigung aller Arbeitnehmer
vorweg: Die „Rente mit 67“ wird voll wirksam erst in 17 Jahren. Wer
in diesem Jahr das bislang offizielle Rentenalter von 65 Jahren
erreicht, muss einen Monat länger arbeiten und auf seine Altersbezüge
warten. Für jeden Geburtsjahrgang ab 1947 verlängert sich die
Lebensarbeitszeit dann in monatlichen Schritten, bis sie 2029 auf 67
Jahre steigt. Viel Zukunftsmusik also, für die jetzt die ersten Takte
angeschlagen werden. Und prompt erleben wir wieder denselben
ritualisierten Reflex nach fast jedem neu beschlossenen Gesetz – es
wird gleich wieder infrage gestellt. Diesmal ist es die SPD. Sie will
im Fall einer Regierungsübernahme 2013 die „Rente mit 67“ aussetzen.
Dabei hatten die Sozialdemokraten dem von ihrem Arbeitsminister Franz
Müntefering während der großen Koalition mit der CDU/CSU auf den Weg
gebrachten Gesetz noch überzeugt zugestimmt. Unterstützung findet die
Kehrtwende der SPD erwartungsgemäß bei den Gewerkschaften – aber auch
bei zwei Drittel aller Deutschen. Mit Letzterem überraschte gestern
das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Dennoch bleibt eine längere
Lebensarbeitszeit wegen des demografischen Wandels unausweichlich:
Die ältere Generation wächst, die jüngere nimmt ab. Da die Jüngeren
für die Renten der Älteren aufkommen, ist der Generationenvertrag aus
dem Gleichgewicht geraten. Aber keiner will die Renten kürzen oder
die Beiträge weiter erhöhen. Deshalb bleibt als realistische
Alternative nur die längere Lebensarbeitszeit. Sie birgt, und darüber
wird gestritten, allerdings ein Risiko. Wer künftig früher aus dem
Arbeitsleben ausscheidet, muss weitere Abschläge von der Rente in
Kauf nehmen. So droht die „Rente mit 67“ für viele, die nicht so
lange arbeiten können oder wollen, in der Tat zu einer indirekten
Rentenkürzung zu führen. Deshalb muss das Ziel sein, möglichst viele
ältere Arbeitnehmer – anders als bislang – in Beschäftigung zu halten
oder erst noch zu bringen. Angesichts des bereits lautstark
beschworenen Fachkräftemangels wird sich dieses Problem allerdings in
den nächsten 20 Jahren wahrscheinlich weitgehend von selbst lösen.
Dennoch bleibt richtig, frühzeitig daran zu erinnern, dass auch die
Wirtschaft zum Gelingen der „Rente mit 67“ ihren
Beschäftigungs-Beitrag zu leisten hat. Aber deshalb die Reform, wie
SPD Generalsekretärin Andrea Nahles vollmundig verkündet, gleich
wieder auszusetzen, bis es ausreichend Arbeitsplätze für die Älteren
gibt, kündet nicht von Sachverstand, sondern von wahltaktischem
Kalkül. Denn erstens schwindet ohne Gesetz der Druck auf die
Unternehmen, ältere Menschen zu beschäftigen. Und zweitens umweht die
Forderung mehr als nur einen Hauch von Populismus, weil sie zielgenau
in Sigmar Gabriels Wahlkampfstrategie passt: Mit dem Schwerpunkt
„Soziale Gerechtigkeit“ will er 2013 Stimmen im linken Lager
zurückgewinnen. Beruhigend, dass Nahles und Gabriel ziemlich einsam
in die falsche Richtung marschieren. In der SPD widersprechen die
Ex-Minister Müntefering und Steinbrück vehement. Und bei den Grünen –
dem Wunschpartner von Nahles und Gabriel – Parteichef Cem Özdemir
höchstpersönlich.
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