Helmut Schmidt, derzeit so etwas wie eine letzte
Instanz dieser Republik, möchte, so sagt er, nicht mehr in die
Tagespolitik eingreifen. Diesem Vorsatz ist er in der vergangenen
Woche untreu geworden. Gefragt nach einer Bewertung des
Außenministers Guido Westerwelle, atmete Schmidt tief durch und
sagte: „Ich glaube nicht, dass Sie im Ernst eine Antwort von mir
erwarten.“ Darauf die Moderatorin: „So schlimm?“ Schmidt: „Hab–
nichts hinzuzufügen.“ Man kann diese Sequenz bei YouTube nachschauen.
Sie ist eine Hinrichtung. Gegen Schmidts unausgesprochenes Verdikt
ist Kubickis rüpelhafter und selbstverliebter FDP-DDR-Vergleich ein
hübsches Kompliment. Es ist nicht gut bestellt um Guido Westerwelle.
Das liegt zunächst an ihm selbst. Der FDP-Vorsitzende hat in langen
Oppositionsjahren Hoffnungen beim Wähler geweckt, die er nach seiner
Wahl nie einlösen konnte. Er ist kein besserer Außenminister als
Frank-Walter Steinmeier oder Joschka Fischer; es gelingt ihm nicht,
Tritt zu fassen in einem Amt, das ganz gut dafür geeignet ist,
Charakter und Charisma, auch den Tiefgang einer Person zu spiegeln.
Bei Westerwelle fällt einem auch nach 14 Monaten als Erstes noch
immer Edmund Stoibers „Leichtmatrose“ ein. Sein Wort, diese These
wurde erst gestern wieder belegt, als Karl-Theodor zu Guttenberg
Westerwelles Afghanistan-Abzugs-Versprechen relativierte, ist nichts
wert. Eine Katastrophe für einen Außenminister, der ja angewiesen ist
auf die Verlässlichkeit seiner Worte. Es ist ein Trauerspiel.
Entgegen der Hoffnung manches Freidemokraten deutet nichts daraufhin,
dass die Aufgabe des FDP-Vorsitzes irgendetwas ändern würde an dieser
schrecklichen Lage, weder an der des Außenministers noch an der der
Liberalen. Die Argumentation, nach einem Verzicht auf das Parteiamt
könne Westerwelle sich besser auf die Außenpolitik konzentrieren, ist
nicht konstruktiv, sondern despektierlich und abschätzig, im Grunde
ein weiterer Tritt von hinten. Ganz davon abgesehen, dass bei den
Liberalen niemand in Sicht ist, dessen Wahl zum Parteivorsitzenden
die Dinge zum Positiven wenden würde: Viel wichtiger als ein
Personalwechsel wäre ein Mentalitätswechsel. Die FDP muss endlich
einsehen, dass Regieren ein Mannschaftssport ist, keine Ich-AG. Sie
muss endlich damit beginnen, Guido Westerwelle zu stärken, statt ihn
zu demontieren. Sie muss einsehen, dass bei allem Willen zur
Individualität, Erfolg in der Verantwortung nur gemeinsam, nur
miteinander erreicht werden kann. Das unterscheidet eine gute
Regierung von einer guten Opposition, die immer mehr von glamourösen
Solotänzern lebt als von alltäglicher Teamarbeit. Der letzte
Schlüssel für eine Trendwende aber liegt wieder bei Westerwelle
selbst, den nimmt ihm niemand ab. Er muss jetzt zeigen, dass einer,
der ganz unten und zertrümmert ist, Demut lernen kann. Und die
Fähigkeit, gestärkt wieder aufzustehen. Dabei die Backen nicht mehr
ganz so dicke aufzublasen, zu arbeiten statt zu missionieren, nicht
auf die Würde des Amtes zu pochen, sondern dem Amt Würde zu
verleihen. Die Alternative dazu ist in der Tat der Rücktritt. Dann
allerdings von beiden Ämtern.
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