Über den politischen Diskurs im Lande kann man sich
nur wundern. Statt die Ratio, also Vernunft und Realitäten, sprechen
zu lassen, wird allzu oft alles in einem Topf verrührt, auf dass die
Emotionen hochkochen. Das erleben wir gerade wieder in der
Integrationsdebatte. Da werden einmal mehr zwei Probleme in
unverantwortlicher Weise miteinander vermischt. Das eine ist die
mangelnde Anpassungsbereitschaft einer Minderheit aus der sozialen
Unterschicht insbesondere mit türkischen und arabischen Wurzeln, die
sich mit Recht und Gepflogenheiten hierzulande schwerlich abfinden
will. Die parallel entbrannte Debatte darüber, wie man die durch die
demografische Entwicklung notwendige Zuwanderung von Fachkräften
befördern soll, hat mit der zu Recht besorgniserregenden
Integrationsverweigerung nichts zu tun. Wer wie CSU-Chef Horst
Seehofer dennoch beides vermischt, muss sich den Vorwurf der
Stimmungsmache bis hin zur Demagogie gefallen lassen. Hier soll es um
die Zuwanderung von Fachkräften gehen. Auch sie ein ernüchterndes
Exempel für die Schwerfälligkeit deutscher Politik. Denn was in
diesen Tagen entlang drohenden Mangels an Ingenieuren und
IT-Spezialisten, Facharbeitern, Pflegepersonal und Punktesystem
strittig diskutiert wird, ist eine reine Wiedervorlage dessen,
worüber schon vor exakt zehn Jahren gerungen wurde. Der schon damals
prognostizierte Mangel an Computerspezialisten veranlasste den
seinerzeitigen Bundeskanzler Gerhard Schröder, für die Einführung
einer Greencard für IT-Fachkräfte zu plädieren und eine
Zuwanderungskommission einzusetzen. Die leitete die frühere
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth mit dem Ergebnis, auch für
Deutschland eine geregelte Zuwanderung nach einem Punktesystem
(orientiert an Bildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen)
vorzuschlagen. Alles für die Katz, weil sich die oppositionelle
CDU/CSU damals verweigerte. Heute sind die Unionschristen bis auf die
Bayern offenbar einsichtiger. Auch sie können nicht länger leugnen,
dass ganz aktuell der wirtschaftliche Aufschwung mangels
ausreichender heimischer Fachkräfte abgebremst wird. Und dass
perspektivisch Deutschland als führender Industriestandort angesichts
der noch weit dramatischer werdenden demografischen Entwicklung ohne
bedarfsorientierte Zuwanderung von außen nicht zu halten sein wird.
Höchste Zeit also nachzuholen, was vor Jahren gescheitert ist. Denn
noch sind die Chancen nicht schlecht. Nach einer Umfrage glauben 81
Prozent der deutschen Unternehmer, dass unser Land für ausländische
Fachkräfte unverändert attraktiv sei, um hier zu arbeiten. Es klingt
pathetisch, ist aber schwerlich zu widerlegen: Wenn die Koalition am
18. November über den Zuzug von ausländischen Fachkräften berät, geht
es um die Zukunft Deutschlands.
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