Es sind gleich mehrere bewegende Tage von
historischer wie aktueller Tragweite, die Europas Geschicke
grundlegend verändert haben. Gestern wurde in Warschau der ersten
halbfreien Wahl im noch kommunistischen Polen vor 25 Jahren gedacht.
Sie war die Initialzündung zur Befreiung Ost- und Südosteuropas wie
der Wiedervereinigung Deutschlands. Morgen wird der Landung der
Alliierten in der Normandie gedacht. Sie leitete das endgültige Ende
der NS-Barbarei in weiten Teilen Europas ein. Auch Russlands
Präsident Wladimir Putin ist diesmal zu den Feierlichkeiten an
Frankreichs Kanalküste eingeladen. Aber er ist es auch, der wieder
Angst und Schrecken in einem Europa verbreitet, das nach Ende des
Kalten Krieges von einem ewig friedlichen Miteinander der Völker
träumte. Die Ereignisse auf der Krim und in der Rest-Ukraine dieser
Tage haben ein böses Erwachen ausgelöst.
Der Schutz der Nato ist für ihre östlichen Verbündeten seitdem von
brennender Aktualität. In der neuen Machtgier Putins sehen sie
zunehmend eine Bedrohung auch ihrer Freiheit und Souveränität, die
sie Anfang der Neunzigerjahre Moskau abgerungen haben. Ihr Wunsch
nach stärkerer Präsenz der Allianz, insbesondere von US-Einheiten,
ist verständlich. Zugleich aber auch die Zurückhaltung der Partner im
Westen, jenseits von Elbe und Oder ständige Militäreinrichtungen des
Bündnisses aufzubauen.
Eine solche nach Osten vorgeschobene Nato-Präsenz würde die
Russland einst zumindest indirekt gegebene Zusicherung brechen, keine
Nato-Truppen auf dem Territorium der einstigen Verbündeten im
Warschauer Pakt zu stationieren. Mit der naheliegenden Folge, dass
wohl für längere Zeit selbst die letzten Hoffnungen dahin wären,
Putin wieder zur Vernunft und damit zur Respektierung der
Souveränität der bestehenden Staatsgrenzen in Europa zu bringen. Das
kann in niemandes Interesse sein.
Dagegen sind die Ankündigungen von US-Präsident Obama wie die
Entscheidung der Nato, zeitlich befristet ein paar Flugzeuge, Schiffe
und kleinere Truppenverbände ins Baltikum und nach Polen zu schicken,
außerdem mehr gemeinsame Manöver abzuhalten und dafür eine Milliarde
US-Dollar bereitzustellen, der gespannten, aber nicht dramatischen
Lage angemessen. Den östlichen Partnern signalisieren sie
Verlässlichkeit der Nato, Putin Wachsamkeit des Bündnisses. Und die
seit Jahren auf Abrüstung eingestimmten Allianz-Mitglieder im Westen
sind vorerst der Sorge ledig, ihre runtergefahrenen
Verteidigungsetats wieder hochfahren zu müssen.
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