BERLINER MORGENPOST: Neustart zwischen USA und Deutschland – Leitartikel

Barack Obama, der routinierte Charmeur mit dem
feinen Gespür für große Symbolik, hatte mal wieder eine erstklassige
Show vorbereitet. Er führte die deutsche Kanzlerin, ganz privat, in
ein Washingtoner Restaurant mit dem beziehungsreichen Namen „1789“
aus. Welch assoziative Kraft: ein vertrauliches Candlelight-Dinner
zwar, das aber durch den Namen der Gaststätte immens historisch
aufgeladen. Kein anderes Jahr steht deutlicher für die gemeinsamen
kulturellen Wurzeln von USA und Europa: Damals brachte die
Französische Revolution die Demokratie auf den alten Kontinent,
zugleich begründete der erste US-Präsident George Washington die
modernen Vereinigten Staaten. 1789 markiert den Beginn jener
Wertegemeinschaft, die oft noch propagiert wird, aber durchaus an
Klebkraft verloren hat. Die Absicht des amerikanischen Präsidenten
dürfte klar sein: Mit einer wohlmeinenden Offensive aus Ehre,
Zärtlichkeit und sanftem Druck will Barack Obama die traditionell
widerständigen Deutschen offenbar zurückzwingen in jene bewährte
transatlantische Partnerschaft, die zuletzt mächtig gelitten hatte.
Helmut Kohl und Bill Clinton bildeten das letzte verlässliche Duo,
was sich bei einer Feierstunde in der American Academy in diesem Mai
erst wieder erwies. Die Gäste waren zu Tränen gerührt, als der
liberale Demokrat Clinton eine zu Herzen gehende Lobrede auf den
Altkanzler hielt. Was aber folgte? Ein Feuerwerk der Irritationen,
von Schröders – wenn inhaltlich auch wohlbegründeten – Nein zum
Irak-Krieg bis zur Merkelschen Enthaltung beim Libyen-Einsatz. Und
persönlich läuft es auch nicht so richtig. Es ist ein offenes
Geheimnis, dass die Kanzlerin ihren amerikanischen Kollegen zwar
bewundert als Menschenfischer, ihn angesichts seiner innenpolitischen
Baustellen aber für ziemlich durchsetzungsschwach hält. Obama
wiederum dürfte dem spezifisch Merkelschen Charme nicht gleich
erliegen, er hegt aber durchaus Respekt für ihre Biografie und den
vergleichsweise ordentlichen Zustand Deutschlands. Die derzeitigen
Angie-Festspiele müssen wohl als ein von Obama betriebener Neustart
verstanden werden. Angesichts der globalen Machtverschiebungen will
der US-Präsident eine seit Jahrzehnten bewährte Partnerschaft, eine
durch Weltkrieg, Luftbrücke und Mauerfall mit viel Emotion
aufgeladene Beziehung nicht einfach so austrudeln lassen. In heiklen
Lagen – von Nordafrika bis Weltfinanzen – ist ein stabiler direkter
Draht zwischen Berlin und Washington unverzichtbar. Kollateralnutzen
für die CDU-Vorsitzende: Sie kann zeigen, dass sie nicht alle
Traditionslinien ihrer Partei kappt. Das Transatlantische gehört
schließlich zu den Gründungsmythen der CDU, untrennbar verbunden mit
dem Ahnherrn Konrad Adenauer und natürlich auch Helmut Kohl, dessen
Freundschaft zu George Bush sen. die Einheit möglich machte. Es
bleibt auch nach Obamas eleganter Würdigung der deutschen Kanzlerin
zweifelhaft, ob die alte Achse immer noch Kraft genug entwickelt, die
Welt zu bewegen. Aber vereinzelt sind Deutschland und die USA allemal
schwächer.

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