BERLINER MORGENPOST: Nicht jede Kritik ist antiamerikanisch Leitartikel von Jochim Stoltenbergüber die Arbeit der Geheimdienste und die geplante Freihandelszone

Geheimdienste sind, der Name sagt es, keine
öffentlichen Institutionen. Sie arbeiten im Verborgenen und tun das
zum Schutz der Sicherheit ihrer Staaten und deren Bürger. Die Dienste
haben aber auch unbedingte Grenzen. Zumindest in demokratisch
verfassten Gesellschaften. Das gilt somit natürlich auch für die
Dienste der Welt- und Supermacht Amerika.

Eine Grenze wird spätestens überschritten, wenn die Kommunikation
unbescholtener Bürger abgehört und gespeichert wird, die Büros
befreundeter Partner verwanzt werden oder per Datenklau
Wirtschaftsspionage betrieben wird. Noch ist nichts endgültig
bewiesen. Doch was der zur Plaudertasche mutierte frühere Mitarbeiter
des US-Geheimdienstes Edward Snowden bislang offenkundig gemacht hat
und wohl weiter kundtun wird, das dürfte dicht an der Wahrheit
liegen. Anderenfalls hätte Washingtons Regierungsmaschinerie Snowden
längst als üblen Verleumder enttarnt. Nichts ist geschehen. Im
Gegenteil. Präsident Barack Obama hält für völlig normal, was sein
Geheimdienst NSA bei Freund und Feind ausspäht.

Es ist also völlig legitim, ja demokratische Pflicht, nicht zu
akzeptieren, dass die NSA monatlich wohl auf rund 500 Millionen
Kommunikationsvorgänge allein in Deutschland zugreift. Weil es so
viel Terrorismusverdacht in unserem Lande nicht geben kann, sind
zwangsläufig unbescholtene Bürger betroffen, auch
Wirtschaftsunternehmen, die zum Vorteil von Big Business jenseits des
Atlantiks angezapft werden. Und selbstverständlich kann nicht
schweigend darüber hinweggegangen werden, dass in Brüsseler EU-Büros
mitgehört wird, wenn gleichzeitig über eine Freihandelszone zwischen
Europa und Amerika verhandelt wird.

Die Gespräche haben am Montag begonnen. Sie sollen den
gegenseitigen Austausch mehren und zu mehr Wohlstand führen. Gut so.
Aber es steckt auch viel Brisanz in der Agenda. Das Internet wird
weiter wachsen und damit die Übertragung von Daten privater Bürger
wie von Wirtschaft und Wissenschaft. Gewarnt durch üble Erfahrung,
müssen Europas Verhandlungsführer die Amerikaner am Ende dazu
bringen, verpflichtend Grundregeln des Datenschutzes auf allen Ebenen
zu akzeptieren. Ein Freihandelsabkommen darf kein Freibrief für noch
unbeschwerteres Spionieren werden.

Kritik gegenüber Washington ist also keineswegs per se
antiamerikanisch. Sie schlägt allerdings in plumpen Antiamerikanismus
um, wenn Washington alles nur erdenkliche Böse zugetraut und für fast
alles Elend dieser Welt verantwortlich gemacht wird. Deutschlands
Linke ist schon wieder munter dabei, dieser Versuchung zu erliegen.

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen werden einmal mehr auf ihre
Belastbarkeit getestet. Dabei darf keine Seite maßlos bleiben. Wir
sind auch bei den Geheimdiensten weiter auf gegenseitigen Austausch
angewiesen; zu unser aller Sicherheit. Die Grenzen liegen dort, wo
fundamentale demokratische Rechte ausgehebelt werden. Der
proklamierte Schutz der Freiheit darf diese nicht unterhöhlen.

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