BERLINER MORGENPOST: Nicht nur Recht, auch gerecht – Leitartikel

Was ist unserer Gesellschaft Zivilcourage wert? Im
Fall um den gewaltsamen Tod des Münchner Geschäftsmannes Dominik
Brunner vor knapp einem Jahr hat das Münchner Landgericht jetzt eine
Antwort gegeben: Wer einen Menschen zu Tode bringt, der andere
schützen will, ist ein Mörder. Die Richter haben all die Einwände
gegen eine Bewertung der Tat als Mord verworfen. Ob Brunners
unerkannte Herzerkrankung oder die Tatsache, dass er als Erster
zuschlug – es half den Angeklagten nicht. Die Vehemenz der dem
Prozess vorangegangenen Diskussion war auch eine Folge des makellosen
Heldenbildes, das sich die Öffentlichkeit – sekundiert von einem
voreiligen Staatsanwalt und wenig reflektierten Medienberichten –
unmittelbar nach der Tat geschaffen hatte. Solche Gewissheiten, das
hat die Verhandlung noch einmal gezeigt, haben vor Gericht keinen
Bestand. Weil es im Gerichtssaal um Menschen geht, nicht um Bilder.
Das Münchner Landgericht zeigte sich von der Diskussion indes
unbeirrt. Sein Urteil ist deswegen nicht nur Recht, sondern auch
gerecht. Es basiert auf zwei Feststellungen. Erstens: Kein Täter hat
Anspruch auf ein gesundes Opfer. Zweitens: In Notwehr kann auch ein
Verteidigungsschlag gerechtfertigt sein. Für die Familie des
getöteten Managers Brunner, die seine posthume Mystifizierung nie
gewollt hat, bedeutet der Richterspruch eine Rehabilitierung des
Andenkens an ihren Sohn. Aber auch als Signal an die Gesellschaft ist
das Urteil nicht zu unterschätzen. Zivilcourage, einer der Garanten
für eine funktionierende Wertegemeinschaft, ist ein kostbares, ein
seltenes Gut. Wir sollten jene ehren, die diesen Mut ohne staatlichen
Auftrag und selbst um den Preis ihrer Unversehrtheit fassen. Dominik
Brunner hat mit seiner selbstlosen Tat Standards gesetzt. Es kann
niemandem abverlangt werden, sein Leben für andere zu riskieren. Aber
es gibt auch keine Entschuldigung mehr, im Notfall wegzusehen. Ein
Anruf bei der Polizei oder der Versuch, unter anderen Zeugen
Verstärkung zu finden – es gibt immer Möglichkeiten der Hilfe, ohne
sich direkt in Gefahr zu bringen. Wenn wir das als Lehre aus dem Fall
Brunner begreifen, dann war sein Tod nicht umsonst. Aber wie sollen
wir nun mit jugendlichen Gewalttätern umgehen? Auch darauf hat das
Münchner Landgericht im Fall Brunner eine Antwort gegeben: Sie
gehören hart bestraft, aber dennoch sollte man ihnen noch eine Chance
zur Entwicklung geben. Die Richter haben beide Angeklagte nach dem
Jugendstrafrecht verurteilt, auch den zur Tatzeit bereits
volljährigen Haupttäter Markus S. Wäre er nach dem
Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden, hätte er „lebenslänglich“
hinter Gittern gehen müssen. Nun sind es neun Jahre und zehn Monate.

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