BERLINER MORGENPOST: Noch mehr Futter für die Wutbürger Uli Exner über Bildungspakete, Mautpläne und den Ansehensverlust der schwarz-gelben Koalition

So, jetzt also ein runder Tisch zum Bildungspaket.
Und natürlich keine Autobahnmaut für Pkw, erst mal nicht. Dafür
vielleicht E 10. Und eine höhere Dieselsteuer? Vielleicht. Oder eben
auch nicht. Aber die Energiewende, die kommt bestimmt. Nichts wie
raus aus den Atom-Kartoffeln. Oder wird das vielleicht doch alles
viel zu teuer? Fristverlängerung? Restlaufzeitverkürzung? Und was war
gleich noch mit Afghanistan? Auch raus? Rein? Libyen? Nicht rein.
Doch ein bisschen. Hört eigentlich noch jemand zu? Nein, vermutlich
nicht. Vermutlich gab es viel zu viele Gründe sich abzuwenden in den
vergangenen Monaten, Jahren. Zu viele Gründe, nicht zu verstehen, was
in Berlin beschlossen und wieder rückgängig gemacht wurde. Zu viele
Dinge, die nicht funktioniert haben. Dabei hatte man sich doch gerade
von dieser Bundesregierung auch dieses versprochen: Bürgerliche
Solidität. Statt rot-grünem Experiment. Statt großkoalitionärem
Kleinklein. Durchregieren wollte Angela Merkel. Im Nachhinein
entpuppt sich dieses Versprechen als Drohung. Flucht ist der Reflex –
man kann froh sein über diejenigen, die Grün noch als Ziel wählen.
Statt einfach nur Wutbürger zu werden im eigenen Vorgarten. Mehr als
die ganz großen Themen Atomkraft, Afghanistan ist vielleicht Ursula
von der Leyens Bildungspaket ein Menetekel für die gekappte Leitung
zwischen Regierung und Regierten. Wenn man sich so einsetzt für ein
im Prinzip ja vorbildliches Projekt – mehr Bildung für alle Kinder! –
und dann läuft alles ins Leere. Man will Gutes tun, guckt sich um,
und keiner ist da, keiner greift zu. Was heißt das dann? Ein
Vermittlungsproblem? Eine Frage der Zeit? Vielleicht auch. Man muss
die Menschen abholen, nicht darauf warten, dass sie zu einem kommen.
Zur Politik, zu den Parteien schon gar nicht. Wenn man da mehr getan
hätte, in der Ministerialbürokratie, sich nicht nach monatelangen
Debatten und erfolgreicher Abstimmung zurückgelehnt hätte, vielleicht
hätten dann tatsächlich zehn statt zwei Prozent der Berechtigten
einen Antrag ausgefüllt, sehr umständlich, wie man hört. Aber zehn
Prozent wären auch noch blamabel. Die schlichte Wahrheit ist
vermutlich, dass sich ein Großteil der Menschen, die man erreichen
wollte mit dem Bildungspaket, schlicht abgekoppelt hat von der
politischen Debatte. Man mag sich der Mühe nicht unterziehen. Kein
Anschluss unter diesen Wählern. Man glaubt nicht mehr, dass da oben
wirklich jemand ist, der es besser machen will und kann. Eine
Gesellschaft kann ein gewisses Quantum solch sozial bedingter
Ignoranz ertragen; wenn sie aber wächst, von unten nach oben, dann
wird es allmählich gefährlich. Politik wird zum Selbstzweck, wenn sie
sich nicht mehr erklären kann; wenn sie es nicht mehr schafft zu
erläutern, warum dieses getan wird und jenes nicht. Wenn sie nicht
mehr in der Lage ist, die Menschen abzuholen und mitzunehmen auf
einen besseren Weg. Regierungen, die dieses Stadium erreicht haben,
neigen dazu, alles nur noch schlimmer zu machen. Man wechselt dann
das Personal oder gleich die ganze Richtung. Manchmal versucht man
auch noch mit einem runden Tisch zu retten, was nicht mehr zu retten
ist: Schwarz-Gelb.

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