BERLINER MORGENPOST: Privatsphäre nach Gutdünken gibt es nicht

Rainer Speer, seit zwanzig Jahren politisch aktiv,
hat das Richtige und Unausweichliche getan. Er tat das mit einer
kuriosen Begründung, aber das macht den Schritt nicht weniger
richtig, sondern eher noch zwingender. Ein „wirksamer Schutz der
Privatsphäre von mir und anderen angeblich Beteiligten ist angesichts
der fortgesetzten aktuellen Berichterstattung einiger Medien nicht
mehr möglich“, sagte Speer und stilisiert sich als Opfer. Das bleibt
ihm unbenommen. Das Kuriose an der Begründung ist: Wenn das mögliche
Verhalten, das die Medien auf ihn aufmerksam machte, reine
Privatsache wäre, dann könnte man einen Teil des Strafgesetzbuchs
gleich einstampfen. Die Feststellung seines Amtsnachfolgers, Speer
habe „eine Frau und ein Kind geschützt, die Gefahr liefen,
unverschuldet durch bestimmte Medien in die Öffentlichkeit gezerrt zu
werden“, lässt kaum vermuten, dass die Landesregierung in Potsdam
begriffen hat, warum ihr Minister sich nicht mehr im Amt halten
konnte. Ein gewählter Minister darf vieles tun. Das Wahlvolk, zu dem
auch Journalisten zählen, für blöde halten darf er nicht. Die
Einlassungen aus Rainer Speers Umfeld zu dem strittigen Thema der
Vaterschaft und damit Unterhaltspflichtigkeit waren von
durchsichtiger Taktik geprägt. Der Argwohn, hier solle im Nachhinein
ein Verhalten umkonstruiert und umgedeutet werden, damit der Vorgang
als rein privat deklarierbar sei, war keineswegs abseitig. Der
Versuch, Fragen und Antworten auch noch gerichtlich zu verbieten,
statt schlüssige Antworten zu geben, weckte den Argwohn nur noch
mehr. Schlüssige Antworten haben den großen Vorteil, dass Wähler, zu
denen Journalisten gehören, sie akzeptieren. Ausweichende,
spitzfindige oder einfach nur dreiste Antworten hingegen bieten
solchen Vorteil nicht. Das hat Speer schon bei den einstigen
SED-Politikern studieren können und später bei Präsident Bill
Clinton, der ebenfalls auf der Privatsphäre beharrte, als sein
ungeordnetes Privatleben für ihn politisch gefährlich wurde. Es ging
in Washington und Potsdam um das Vertrauen in das politische Wort.
Betroffen war schließlich ein Minister, der Träger hoheitlicher
Amtsgewalt und Ehre, und dazu in Personalunion ein enger Vertrauter
des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. Wer ein öffentliches Amt
bekleidet und dann glaubt, fünfe womöglich gerade sein lassen zu
können, mag versuchen, dafür die Pressefreiheit zu beschneiden. Nur
sollte er nicht damit rechnen, dass ihm jeder dabei Folge leistet.
Der Rücktritt Rainer Speers und das Schicksal seiner Maulkorb-Klage
werden dafür sorgen, dass es Nachahmer vermutlich nicht so bald geben
wird. Matthias Platzeck, dessen Amtszeit schon dank anderer Vorgänge
unter keinem guten Stern steht, sollte allerdings jetzt entschlossen
dafür einstehen, dass sein Bundesland und die Bundesrepublik von
weiteren Überraschungen verschont bleiben.

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