BERLINER MORGENPOST: Reformen und doch keine Fortschritte – Leitartikel

Berlin gehört wieder einmal zu den Schlusslichtern
bei einem Bundesvergleich schulischer Leistungen. Pisa lässt grüßen.
Dieses Mal wurden Leseverständnis und Hörverstehen sowie die
Rechtschreibkenntnisse der Neuntklässler getestet. Verglichen mit
denen der Sieger aus Bayern und Baden-Württemberg sind die Berliner
Ergebnisse ernüchternd. Sie zeigen, dass sich die Qualität des
Unterrichts trotz vieler Anstrengungen und Reformen nach dem
Pisa-Schock des Jahres 2000 nicht wesentlich verbessert hat. Und sie
machen deutlich, dass die Hauptstadt mit ihrer Bevölkerungsstruktur
besondere Probleme hat, auf die die Schule offenbar falsch reagiert.
In Berlin liegt der Anteil von Neuntklässlern mit ausländischer
Herkunft bei rund 30 Prozent, ebenso in Hamburg und Bremen. Im
Bundesdurchschnitt sind es lediglich knapp 18 Prozent. Dabei fanden
die Forscher heraus, dass Jugendliche türkischer Herkunft in der
Schlüsselkompetenz Lesen/Textverständnis die schlechtesten Werte
erzielten. Statt aber die Kinder nur dann sofort in die Regelschule
einzuschulen, wenn sie Deutsch so gut beherrschen, dass sie dem
Unterricht mühelos folgen können, wird in Berlin jeglicher
Förderbedarf – und damit auch der für Sprache – erst innerhalb der
ersten beiden Schuljahre festgestellt. Zusätzliche
Sprachförderstunden fallen zudem oft aus, damit Vertretung für den
Regelunterricht organisiert werden kann, die aufgrund chronischen
Personalmangels anders nicht machbar ist. Hier muss sich vieles
ändern. Wie beispielsweise in Kanada sollten auch in Berlin Schüler
solange in speziellen Klassen gefördert werden, bis sie die
Unterrichtssprache sicher beherrschen. Ganz wichtig ist auch eine
gute Personalausstattung an den Schulen. Nur wenn genügend Lehrer vor
Ort sind, kann gezielt gefördert und der Unterricht in einer Qualität
angeboten werden, die die Schüler voranbringt. Das alles ist
natürlich nicht kostenneutral zu haben. Ebenso wenig wie der Einsatz
von ausreichend gut ausgebildeten Erzieherinnen in den
Kindertagesstätten. Doch nur wenn das gewährleistet ist, können die
Kitas ihr ambitioniertes Bildungsprogramm auch wirklich umsetzen und
auf diese Weise mit dafür sorgen, dass die Kinder mit besseren
Sprachkenntnissen in der Schule ankommen. Bleibt außerdem abzuwarten,
mit welchen Ergebnissen die unterschiedlichen Schulformen beim
jüngsten Deutschtest abgeschnitten haben. Wenn sich wie bei den
vorangegangenen Vergleichstests erneut herausstellen dürfte, dass die
Berliner Gymnasiasten zur bundesweiten Spitze gehören, wird die
ohnehin große Nachfrage nach gymnasialen Schulplätzen nur noch weiter
zunehmen. Dann müssen die neuen Sekundarschulen schon besonders gut
ausgestattet werden, damit auch dort bildungsbewusste Eltern ihre
Kinder anmelden. Auch das wird viel Geld kosten. Die Hauptstadt muss
also dringend in Bildung investieren – wenn sie nicht weiter
Schlusslicht bleiben will.

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