In dieser Woche hat sich das deutsche Parlament um
die Demokratie im Lande verdient gemacht. Die erste Lesung des ersten
Haushaltsentwurfs der schwarz-gelben Regierung offenbarte nach Jahren
der großen Koalition endlich wieder weit mehr als den üblichen Streit
über Zahlen und rund gefeilte Kontroversen. Um die Zukunft
Deutschlands wurde sachlich wie emotional gerungen wie schon lange
nicht mehr. Mit dem Ergebnis, dass wieder klare politische
Alternativen erkennbar sind. Die sind in einer funktionierenden
Demokratie nötig, die aus ihrem Selbstverständnis auf Streit, auf das
Ringen um den richtigen Weg angelegt ist. Klare Unterschiede zwischen
den Parteien, zwischen Regierung und Opposition machen Demokratie
spannend, geben dem Bürger das Gefühl, tatsächlich in der Politik
etwas mit entscheiden zu können. Die sich ausbreitende
Politikverdrossenheit hat ja ganz wesentlich auch damit zu tun, dass
sich das Gefühl verstärkt hat, mit der Wahlentscheidung angesichts
des Einheitsbreis der großen Parteien gar nichts verändern zu können
– dass Engagement also nichts bewirke. Diese resignative Haltung
könnte nun aufgeweicht werden. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel und
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Beratung über den Einzeletat
des Kanzleramts, der traditionell zur Generalabrechnung der
Opposition mit der Regierung genutzt wird, hart und leidenschaftlich
debattierten, das ist wie ein Durchlüften im muffig gewordenen
Politikbetrieb. Die pure Not trieb beide zu diesem Duell. Gabriel
musste scharf attackieren, um auch im eigenen Lager zu punkten, da
ihm die Grünen in den Umfragen immer dichter auf den Pelz rücken.
Angela Merkel andererseits musste angesichts der miesen Stimmung in
den Reihen der Union wie im ganzen Land gegenüber Schwarz-Gelb
endlich Führungsstärke und damit Willen zu Entscheidungen bekunden.
Dabei ging es um weit mehr als die Zukunft der Kernenergie, gegen die
heute Zehntausende in Berlin demonstrieren wollen, die Rente mit 67
oder Kürzungen rund um Hartz IV. Dass die Kanzlerin ausgerechnet auch
noch für das selbst im bürgerlichen Lager höchst umstrittene
Bahnprojekt Stuttgart 21 kämpfte, die Landtagswahl in
Baden-Württemberg im März damit zur Abstimmung über den Milliardenbau
und auch über ihre eigene Politik hochstilisiert, signalisiert
Größeres. Gefunden scheint der bislang vermisste politische Überbau
von Schwarz-Gelb: Sicherung der Zukunft. Ob dieses grobe Raster, das
dem anderen Lager ja zugleich Realitätsverweigerung und damit
Zukunftsferne attestiert, tatsächlich verfängt, bleibt vorerst
fraglich. Aber die neue Polarisierung sorgt für Trennschärfe, macht
die politischen Alternativen wieder deutlich und belebt das Interesse
am politischen Geschehen. Das allein tut der müde gewordenen
Demokratie im Lande schon mal gut.
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