BERLINER MORGENPOST: Wachsamkeit ist der Preis der Sicherheit – Leitartikel

Zufall, Absicht oder Handlungszwang – drei Tage vor
dem Trauma-Datum 11.September, zehn Tage vor der Berliner
Abgeordnetenhauswahl und zwei Wochen vor dem Papst-Besuch hat die
Berliner Polizei Schlagkraft bewiesen. Mit der Festnahme der beiden
mutmaßlichen islamistischen Terroristen ist einmal mehr ein möglicher
schrecklicher Anschlag in Deutschland verhindert worden. Noch liegt
vieles im Dunkeln: die Täter, deren Motive, die Ziele und mögliche
Hintermänner oder Organisationen im Hintergrund. Doch so viel ist
klar: Wieder richteten sich die Vorbereitungen für ein Blutbad gegen
unschuldige Menschen, wieder gegen die freiheitliche westliche
Lebenskultur, die die aus dem Nahen Osten stammenden potenziellen
Mörder aufgenommen hat, um ihnen bessere Lebenschancen zu eröffnen
als in ihrer von Krieg und Zerstörung geschundenen Heimat. Wann
endlich wird diesem blindwütigen Hass ein Ende bereitet? Wann endlich
gibt es ein friedliches Miteinander der Kulturen? Dass Deutschland
einmal mehr vor dem ersten großen islamistischen Terroranschlag
bewahrt wurde, ist in diesem Fall der Aufmerksamkeit von zwei
Unternehmern zu danken, die ihren Verdacht ob der gefährlichen
Chemikalien den Sicherheitsbehörden meldeten. Wachsamkeit ist der
Preis für Sicherheit und Freiheit. Eine Herausforderung nicht allein
für die Sicherheitsbehörden, auch für die Bürger. Mancher in
Deutschland will es noch immer nicht wahrhaben oder verdrängt es:
Nicht allein Amerika, England oder Israel – auch wir Deutschen stehen
im Fadenkreuz der Dschihad-Krieger. Deren oberster Feldherr ist tot,
al-Qaida geschwächt. Aber längst hat sich der „Krieg gegen die
Ungläubigen“ verselbstständigt, sind Einzelkämpfer am Werk. Das macht
die Abwehr nicht leichter. Denn wer außerhalb eines dichten Netzwerks
im stillen Kämmerlein Unheil plant, ist doppelt gefährlich, weil
schwerer aufzuspüren. Der jüngste Berliner Verfassungsschutzbericht
weist eine Steigerung gewaltbereiter Islamisten um 40 auf 450 aus.
Das macht deutlich – und die gestrigen Festnahmen sind Bestätigung –
welch latente Gefahr gerade in Deutschlands Hauptstadt mit ihren
symbolträchtigen Gebäuden und Institutionen lauert. Nur in Abstimmung
und im Vertrauen zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Bürgern kann
sie entschärft werden. Wenn dann auch noch der Kommissar Zufall
hilft, wie etwa bei dem gescheiterten Attentat der Kofferbomber von
Köln vor fünf Jahren, wird die Offensivkraft der Terroristen
entscheidend geschwächt. Niemand im Lande sollte sich in falscher
Sicherheit wiegen. Das ist vor allem all jenen in Politik und
intellektuellem Bürgertum angeraten, die den Sicherheitsbehörden
grundsätzlich misstrauen und ihnen das nötige Handwerkszeug
missgönnen. Vorsicht und Glück haben Deutschland bislang davor
bewahrt, zum blutigen Tatort islamistischer Extremisten zu werden.
Das bleibt bei allem Erfolg beunruhigend. Denn der Zynismus, den
einst die irische Untergrundorganisation IRA hinausposaunte, gilt
unverändert für die islamistischen Krieger: „Wir müssen nur einmal
Glück haben. Ihr müsst immer Glück haben.“ In Berlin hatten wir
gottlob Fortune.

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