Börsen-Zeitung: Alles ist möglich, Kommentar zur Regierungsbildung von Angela Wefers

Nach dem Triumph der Union am Wahlabend,
Schockstarre bei FDP und Grünen sowie dem Ringen um Haltung bei der
SPD ist Ernüchterung eingetreten. Mit etwas mehr Abstand zum Sonntag
sortieren sich die Reihen. Dabei scheint inzwischen noch nicht
ausgemacht, in welcher Konstellation die neue Bundesregierung am Ende
aufgestellt sein wird. Auch innerhalb der Parteien sind die Linien
nicht klar abgegrenzt.

Für Verhandlungen über das naheliegendste Bündnis aus CDU, CSU und
SPD, den stärksten Fraktionen im Bundestag, muss die Führung der
Sozialdemokraten zunächst die Unterstützung der Basis gewinnen. Vor
ihrem Konvent am Freitag schwanken die Sozialdemokraten zwischen der
Sorge, in einer großen Koalition erneut aufgerieben zu werden, und
der Attraktion, mitzuregieren sowie den Preis dafür hochschrauben zu
können. Mit ihrer Bundesratsmacht könnten sie gestalten.

Die Meinungen in der SPD sind gespalten. Eine Mitgliederbefragung,
die diverse Abgeordnete und Landesverbände fordern, würde den
Spielraum der Verhandlungsführer einschränken und eine Portion
Unsicherheit mit sich bringen. Ein positives Votum der SPD-Basis
würde umgekehrt eine Koalition festigen, hätte die Parteispitze damit
doch Rückendeckung der Basis.

Bei den Grünen wird das Undenkbare inzwischen denkbar:
Ausgerechnet der im linken Parteiflügel verortete Anton Hofreiter,
der Jürgen Trittin als Fraktionschef beerben will, sendet
versöhnliche Töne in Richtung Union und steht nicht ganz allein. Auch
aus der Gegenrichtung gibt es Stimmen, sich den Grünen zu öffnen.
Sicher ist aber auch, dass vor allem auf persönlicher Ebene der
Gewöhnungsbedarf größer wäre als in einem schwarz-roten Bündnis.

Auch in der Union wird gerungen – Wirtschafts- gegen Sozialflügel.
Unabhängig davon, zu welcher Koalition es kommt, CDU und CSU müssen
sich kompromissbereit zeigen. Sie senden schon erste Signale. So sind
etwa Steuererhöhungen kein Tabu mehr. Auch in der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik wird die Union sich öffnen müssen. Der Sozialflügel ist
entzückt, der Wirtschaftsflügel besorgt. 160 Abgeordnete zählte der
Parlamentskreis Mittelstand und damit etwas mehr als die Hälfte der
Parlamentarier der konservativen Fraktion. Der Wirtschaftsflügel hat
seine Spitze wohlweislich schnell gewählt, ist sprach- und
verhandlungsfähig. Wenn alles nicht fruchtet? Dann muss
CDU-Parteichefin Angela Merkel in eine Minderheitsregierung – aber
nur als letzte und wackeligste aller Möglichkeiten.

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