Börsen-Zeitung: Am Ende viel Lärm um wenig, Kommentar zur EZB-Ratssitzung, von Stephan Balling.

Ist das Zynismus? Ein Frankfurter
Geldmarkthändler kommentierte die gestrigen Maßnahmen der
Europäischen Zentralbank (EZB) so: „Ich bin positiv überrascht. Der
Markt ist enttäuscht. Das ist ein gutes Zeichen. Der Ball liegt nun
doch wieder bei den Staaten.“ In der Tat entsteht dieser Tage der
Eindruck, was den Märkten nicht gefällt, geht ordnungspolitisch in
die richtige Richtung, sichert also unser freiheitliches Wirtschafts-
und Rechtssystem und am Ende auch die demokratischen Prinzipien der
Gewaltenteilung. Von daher klare Antwort: Es ist kein Zynismus.

Natürlich hat EZB-Präsident Mario Draghi gestern mit seiner
Ankündigung, die Notenbank werde künftig eventuell wieder stärker in
die Märkte für Regierungsanleihen eingreifen, die Tür in Richtung
Staatsfinanzierung per Notenpresse weiter geöffnet. Dies ist aus
guten Gründen abzulehnen, weil es erstens den Weg zur Inflation
bereitet, die stets zu sozialer Ungerechtigkeit und ökonomischer
Ineffizienz führt. Zweitens verwischt eine monetäre
Staatsfinanzierung Geld- und Fiskalpolitik und hebelt damit letztlich
das Haushaltsrecht des Parlaments aus, das zentrale Element einer
republikanischen Demokratie.

Aber Draghi hat immerhin einer Banklizenz für die Rettungsfonds
EFSF und ESM eine klare Absage erteilt – eine wesentliche Gefahr für
die Geldstabilität ist damit gebannt. Und dadurch, dass die EZB nur
dann aktiv werden will, wenn auch die Regierungen handeln, erhält ein
möglicher Eingriff der EZB eine gewisse demokratische Legitimation:
Die Führung übernehmen die gewählten Regierungen und Parlamente, sie
müssen ihren Wählern eine Rechnung präsentieren. Damit besteht die
Chance, dass über die Euro-Rettung nun demokratisch entschieden wird,
nicht mehr in dunklen Notenbankhinterzimmern. Draghis Botschaft: Nur
wenn die Regierungen ihren Job erledigen und neuen Rettungskandidaten
– Spanien und Italien – klare Bedingungen auferlegen, hilft auch die
EZB – möglicherweise.

Aber brauchen die Regierungen dann überhaupt die EZB? Keine
leichte Frage. Das hängt von der Höhe des Finanzbedarfs ab. Daneben
kann ein heftiger Einbruch an den Bondmärkten auch die
Finanzstabilität bedrohen, Stichwort Mark-to-Market-Bewertung, also
die Bilanzierung von Anleihen zum Marktpreis. Die Sorge für
funktionierende Märkte ist zwar Sache von Aufsehern und Regierungen.
Aber es könnte sein, dass dafür ihre Mittel nicht reichen. Fazit nach
der von manchem Experten im Vorfeld als historisch stilisierten
EZB-Sitzung: Viel Lärm um wenig, die „Bazooka“ bleibt im Schrank.

(Börsen-Zeitung, 3.8.2012)

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