Börsen-Zeitung: Auf dem falschen Fuß erwischt, Börsenkommentar „Marktplatz“ von Christopher Kalbhenn

Anfang des Sommers nach Experten Ausschau zu
halten, die prognostiziert hätten, dass die zehnjährige Bundrendite
noch vor Ende August in die Nähe der 2%-Schwelle absacken würde, wäre
wahrscheinlich eine vergebliche Übung gewesen. Das Tempo, mit dem die
Staatsanleiherenditen gefallen sind, überrascht selbst jene, die die
US-Wirtschaft vor dem Rückfall in die Rezession sehen. Doch wie soll
es nun weiter gehen? Eine schwer zu beantwortende Frage, bewegen sich
die Renditen doch auf Niveaus, die seit der Gründung des Deutschen
Reichs im Jahr 1871 noch nie gesehen wurden. Sie sind damit so
einmalig wie die gigantischen weltweiten fiskalischen und
geldpolitischen Maßnahmen, mit denen Regierungen und Notenbanken rund
um den Globus versuchen, Wirtschaft und Finanzsystem vor dem
schlimmsten zu bewahren bzw. wiederzubeleben.

Offenbar noch ohne den erhofften Erfolg. Dass die US-Zentralbank
Fed beschloss, die Reduzierung ihrer Bilanz zu verschieben und nun
auch die von ihr gehaltenen mit Hypotheken unterlegten Papiere bei
Fälligkeit durch Staatsanleihen zu ersetzen, zeugt von hoher
Nervosität. Kein Wunder, dass die Verkündung des Beschlusses die
spektakuläre Rally der Staatsanleihen bester Bonität anstieß.
Schließlich hatten kurz zuvor schon erschreckend schwache Daten vom
US-Arbeitsmarkt die Rezessionsängste geschürt. Nun wird es Zeit, sich
an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Rendite der zehnjährigen
Bundesanleihe demnächst auch noch mit einer 1 vor dem Komma geziert
werden, so wie dies die Japaner schon seit mehr als einem Jahrzehnt
kennen. Denn wenn die wichtigen Daten in den kommenden Tagen, der
Konjunkturindex des Institute for Supply Management und die
US-Arbeitsmarktzahlen vom August, erneut die Rezessionsangst schüren,
wird die Flucht in Sicherheit den Durchbruch unter die 2%-Schwelle
zur Folge haben.

Die Pessimisten, die den Rückfall in die Rezession sowie Deflation
für unvermeidlich halten, sehen dann noch erheblichen Spielraum.
Sogar ein Absacken der zehnjährigen Bundrendite auch noch unter die
Marke von 1,5% ist dieser Tage prognostiziert worden. Warum auch
nicht? Schließlich hat die ultralockere Geldpolitik nicht nur den
erhofften Effekt bislang verfehlt, mit der grassierenden
Rezessionsangst als Folge. Sie hat außerdem die spekulativen Exzesse
mit angeheizt, die nun wieder zu beobachten sind.

Die überbordende, nach Anlagen suchende Liquidität führt dazu,
dass die Kursausschläge an den Märkten weitaus heftiger ausfallen,
als dies die fundamentalen Auslöser der Bewegungen per se
rechtfertigen. Belegt hat dies kürzlich die Explosion des
Weizenpreises. Die Hitzewelle und die resultierende Brandkatastrophe
in Russland stellen zwar über die Angebotsverknappung einen
nachvollziehbaren Grund für den Preisanstieg dar. Sein Ausmaß und
seine Geschwindigkeit sind jedoch nur mit den enormen Summen
erklärbar, die sich auf einen Schlag in den vergleichbar kleinen
Weizen-Terminmarkt hineinquetschten.

Ähnliches ist beim Bund-Future zu beobachten. Das Open Interest,
d.h. die Positionen, die Marktteilnehmer über Nacht stehen lassen,
betrug Ende Juli wertmäßig 115 Mrd. Euro, um in vier Wochen auf 145
Mrd. Euro hochzuschnellen. Doch es ist nicht nur die Spekulation auf
weiter steigende Notierungen, die den Effekt der Flucht in Sicherheit
verstärkt. Die Hausse ist auch Folge der vorangegangenen,
umfangreichen Spekulation auf anziehende Anleiherenditen bzw.
fallende Bund-Future-Notierungen. Marktteilnehmer, die dann auf dem
falschen Fuß erwischt wurden, mussten in der Folge entsprechend
umfangreiche Short-Eindeckungen tätigen – egal ob sie nun von einer
bevorstehenden Rezession und Deflation überzeugt sind oder nicht.

Die DZ Bank glaubt, dass die Auflösung dieser spekulativen
Positionen einer der Hauptgründe des jüngsten Renditeverfalls ist. Es
hält auch ein Absacken der Rendite auf 2% für wenig wahrscheinlich.
Die aktuelle Realrendite liege unter Berücksichtigung der
Teuerungsrate auf einem lächerlich niedrigen Niveau von 0,8%. In den
vergangenen zehn Jahren seien solche Werte jeweils nur für sehr kurze
Zeit erreicht worden. Anschließend sei regelmäßig eine deutliche
Korrektur gefolgt.

(Börsen-Zeitung, 28.8.2010)

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