Die jüngste Entwicklung des Ölpreises ist
äußerst bemerkenswert. In einem durch anhaltende Konjunkturschwäche
geprägten Umfeld legt dieser seit rund zwei Wochen stetig zu. Die
führende Nordseesorte Brent hat inzwischen mit 106,67 Dollar je
Barrel (159 Liter) den höchsten Stand seit April erreicht. In den USA
ist der Preis der wichtigsten Sorte West Texas Intermediate
inzwischen so hoch wie zuletzt vor 14 Monaten.
Der Hauptgrund für den Anstieg ist die äußerst angespannte
politische Lage in Ägypten nach dem Scheitern der islamistischen
Regierung unter dem Präsidenten Mohammed Mursi und der Machtübernahme
durch das Militär.
Ägypten ist zwar kein wichtiges Ölförderland. Die größte Nation im
arabischen Raum produziert lediglich 700000 Barrel pro Tag (bpd). Für
einen Weltmarkt mit einem Gesamtvolumen von 91 Mill. bpd wäre ein
Ausfall der ägyptischen Förderung also unbedeutend. Allerdings ist
der Suezkanal eine der wichtigsten Schifffahrtsstraßen auch für den
Transport von Rohöl. Pro Tag werden durch dieses Nadelöhr immerhin 2
Mill. bpd transportiert.
Von noch größerer Bedeutung sind aber die politischen Signale, die
die Akteure in Kairo in die gesamte arabische Welt – und damit auch
in die Hauptförderregion am Persischen Golf – ausstrahlen. Dabei
dreht sich die Besorgnis der Marktteilnehmer weniger um die Tatsache,
dass das Militär geputscht hat. Machtübernahmen durch Armeegeneräle
hat es in Ölförderländern in der Vergangenheit nicht gerade selten
gegeben, meist ohne nennenswerte Produktionseinschränkungen bei dem
Energieträger, weil sich auch die neuen Machthaber am Öl ihrer Länder
bereichern wollten. Als deutlich beängstigender wird die Reaktion der
entmachteten Moslembruderschaft und der ägyptischen Salafisten
eingeschätzt. Mursi hatte sich seiner Entmachtung mit einer für
Politiker ungewöhnlichen Halsstarrigkeit entgegengestellt und dabei
nicht einmal darauf reagiert, dass ihm sein Gegenspieler,
Verteidigungsminister al-Sisi, offenbar goldene Brücken bauen und ihm
eine Festnahme ersparen wollte.
Am Freitag ist es auf dem Sinai bereits zu einem Anschlag mit
islamistischem Hintergrund auf Soldaten gekommen und in Kairo hat
eine aufgebrachte Menschenmenge versucht, die Kaserne zu stürmen, wo
sie Mursi vermutete. Die Lage könnte sich weiter zuspitzen: Die Armee
hat inzwischen die Spitze der Moslembruderschaft verhaftet, während
die Islamisten landesweit mit Rache drohen. Folge könnte eine neue
Welle islamistischer Gewalt im arabischen Raum sein, für die
Ölförderanlagen ein attraktives Ziel wären, weil sich aus Sicht von
Terroristen dort mit geringem Einsatz eine große Wirkung erzielen
lässt.
Zudem könnte sich die Bevölkerung in anderen arabischen Ländern
durch die Ereignisse in Kairo veranlasst sehen, ihre Despoten an der
Staatsspitze abzuservieren. Sollten die Unruhen wichtige Förderländer
wie den Iran, die Golfemirate oder sogar Saudi-Arabien erfassen,
würde das die Versorgungssicherheit der Industrieländer ernsthaft
gefährden.
Der Anstieg des WTI-Ölpreises hat aber noch einen anderen
Hintergrund: Am Markt macht sich die Erwartung breit, dass eine sich
eventuell rascher als bislang erwartet erholende US-Konjunktur den
Ölverbrauch in der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt nach oben
treiben könnte. Am Freitag haben die amerikanischen Arbeitsmarktdaten
diese Erwartung noch verstärkt, weil US-Unternehmen außerhalb der
Landwirtschaft im Juni wie auch schon im Vormonat 195000 zusätzliche
Jobs geschaffen haben. In diesem Umfeld wirkt auch positiv, dass die
US-Notenbank Fed nach der Ankündigung eines Kurswechsels, der wie ein
Schock auf die Märkte wirkte, nun signalisiert, dass sie dabei mit
Augenmaß vorgehen will.
Auf der anderen Seite des Atlantiks drückt zwar die Rezession in
der Eurozone auf den Ölverbrauch und damit grundsätzlich auch auf die
Brent-Notierungen. Eher preistreibend hat aber die erstmalige
Ankündigung der Europäischen Zentralbank gewirkt, dass sie gedenkt,
ihren ultralockeren geldpolitischen Kurs längerfristig beizubehalten.
Damit stellt sich die Frage, wie es mit dem Ölpreis weitergeht.
Die optimistischer eingeschätzte konjunkturelle Lage in den USA und
der geldpolitische Kurs der Notenbanken in den USA, der Eurozone und
auch Japan dürften sich in den kommenden Wochen als eine Stütze des
Ölpreises erweisen. Weiteres Potenzial nach oben ist allerdings nach
Ansicht vieler Analysten nur für den Fall zu erwarten, dass sich die
Lage im Nahen Osten zuspitzt.
(Börsen-Zeitung, 6.7.2013)
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de
Weitere Informationen unter:
http://