Tagtäglich werden die Finanzmärkte mit den
Risiken konfrontiert, die sich aus der Schuldenkrise für europäische
Aktien, Anleihen und den Euro ergeben. Die Herabstufung der Bonität
Irlands um gleich fünf Stufen führt deutlich vor Augen, dass das
Problem auch im neuen Jahr für Verunsicherung sorgen und Turbulenzen
an den Märkten auslösen wird. Es gibt jedoch noch ein Problem, und
zwar eines, dass sich mit der Zeit als noch gravierender erweisen
könnte als die Staatsfinanzen der Peripherie Eurolands.
In China droht die Inflation außer Kontrolle zu geraten, was
gravierende Folgen weit über das Reich der Mitte hinaus haben würde.
Auch im November wurden die Befürchtungen hinsichtlich der
Jahresteuerung bei weitem übertroffen. Nach bereits beunruhigenden
4,4% im Oktober kletterte die Jahresinflation, Anfang 2010 noch bei
1,5%, auf 5,1%. Brisant ist die Entwicklung vor allem wegen der
hochschießenden Nahrungsmittelpreise, deren Jahresrate im November
bei rund 12% lag. Das hat für große Teile der chinesischen
Bevölkerung schlimme Folgen, sodass die Regierung soziale Unruhen
befürchtet. Hinzu kommt, dass die Immobilienpreise stark anziehen,
wodurch Wohnungen und Häuser immer unerschwinglicher werden und
außerdem gefährliche spekulative Blasen drohen.
Behörden unter Druck
Die Behörden geraten durch die Entwicklung immer stärker unter
Druck. Sechs Anhebungen der Mindestreserveanforderungen und die erste
Leitzinserhöhung seit drei Jahren waren erst der Anfang, wie Experten
befürchten. So rechnet Barclays für das nächste Jahr mit drei
weiteren Leitzinserhöhungen um insgesamt 75 Basispunkte. Außerdem
wurden drakonische Strafen gegen Preistreiberei und das Horten von
Lebensmitteln angedroht und Nahrungsmittelsubventionen für die
ärmeren Bevölkerungsschichten angekündigt. Ob es den Behörden
gelingen wird, die Entwicklung in absehbarer Zeit zu bremsen, ist
jedoch ungewiss.
Zudem gibt es zahlreiche deutliche Anzeichen dafür, dass die
tatsächliche Entwicklung der Preise schlimmer ist, als dies in den
offiziellen Statistiken sichtbar wird. Für Aufsehen sorgte im
November ein Bericht der Chinese Academy of Social Sciences,
demzufolge die offizielle Statistik deutlich hinter der tatsächlichen
Preisentwicklung zurückbleibt. In den zurückliegenden fünf Jahren
habe der Preisindex der Regierung den Preisanstieg um insgesamt
sieben Prozentpunkte zu niedrig ausgewiesen. Indem die Regierung nur
acht Subindizes veröffentliche, Veränderungen in den jeweiligen
Warenkörben jedoch nicht, bestehe die Gelegenheit, die Inflationszahl
„anzupassen“.
Drohende Abschwächung
Das prompte und barsche Dementi des Statistikamtes ist ein
weiterer Beleg dafür, dass die Nerven bei den Offiziellen durchaus
angespannt sind. Letzten Endes besteht aber auch für die Finanzmärkte
Grund, unruhig zu werden. Denn wenn der Inflationsdruck weiter
steigt, besteht die Gefahr, dass die chinesischen Behörden noch
stärker gegensteuern und eine empfindliche Wachstumsabschwächung
auslösen. Mit der deutschen Sonderkonjunktur und der Outperformance
des deutschen Aktienmarktes wäre es dann wohl vorbei. Die
Marktteilnehmer müssen sich vor diesem Hintergrund darauf einstellen,
dass die Entwicklung im Reich der Mitte in den kommenden Wochen
zumindest für Volatilitätsschübe sorgen wird.
Allerdings weiß auch die chinesische Regierung, dass sie das
Wachstum abwürgen könnte und dann an Stelle des Inflations- ein
Arbeitslosigkeitsproblem hätte. Daher hat sie eine Anhebung ihres
Inflationsziels von 3% auf 4% avisiert. Aus Sicht der Finanzmärkte
verschiebt das jedoch nur die Risiken zulasten der Anleihen. Chinas
Geldentwertung ist auch ein Inflationsrisiko der Industrienationen.
Denn durch seine Billigprodukte hat es zur moderaten
Teuerungsentwicklung in den USA und Europa erheblich beigetragen.
Wenn nun aber in China eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wird,
verteuern sich auch die Waren und Zulieferungen aus dem Reich der
Mitte, die eine immer wichtigere Rolle in den entwickelten
Volkswirtschaften spielen und die zu einem Großteil nicht so ohne
weiteres ersetzt werden können.
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