Börsen-Zeitung: Der Lästigkeitswert steigt / Kommentar zu den VW-Klagen von Carsten Steevens

Über Jahre hinweg haben sich Verbraucherschützer
dafür eingesetzt, dass die Musterfeststellungsklage in Deutschland
zur Verbesserung des kollektiven Rechtsschutzes möglich wird.
Insofern ist das im Juni vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur
Einführung der Musterfeststellungsklage begrüßt worden, auch wenn
Konstruktionsmängel wie die frühzeitige Entscheidung der Verbraucher
über eine Klagebeteiligung und eine eng gefasste Klagebefugnis
bemängelt werden.

Die Kompromisse, die der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV)
moniert, haben damit zu tun, dass sich die nach der Wahl vor knapp
einem Jahr mit erheblicher Verzögerung an den Start gegangene
Bundesregierung mit dem Gesetz beeilen musste. Es galt im
Zusammenhang mit dem Abgasbetrug von Volkswagen Voraussetzungen zu
schaffen, um eine Verjährung der Schadenersatzansprüche von
Verbrauchern zu unterbinden. Dass das Gesetz am 1. November in Kraft
treten wird, hat wesentlich mit der Causa Volkswagen zu tun.
Autokäufer, die sich durch „Dieselgate“ geschädigt sehen, können ihre
Ansprüche noch bis Ende des Jahres 2018 geltend machen.

Das besondere Merkmal der Musterfeststellungsklage gegen den
Autobauer, die zulässig wird, wenn sich mindestens 50 betroffene
Käufer von Modellen mehrerer Konzernmarken mit EA-189-Motoren im
Klageregister eingetragen haben, ist insoweit die verjährungshemmende
Wirkung. Die Erfolgsaussichten der Verbandsklage sind unklar, denn es
handelt sich um unbekanntes Terrain. Wie scharf oder stumpf das neue
juristische Schwert ist, wird sich noch zeigen müssen. Sollte sich
das Verfahren gegen VW über Jahre hinziehen, dürfte aber schon zu
hinterfragen sein, ob der Nutzen mit den Kosten der beabsichtigten
Verbesserung des Verbraucherschutzes im Einklang steht.

Der Wolfsburger Autobauer hält derweil trotz des Instruments der
Musterfeststellungsklage an der Position fest, dass es in Deutschland
keine Rechtsgrundlage für Kundenklagen im Zusammenhang mit dem
Abgasbetrug gebe. Doch unabhängig von dieser Frage wird sich der
Druck auf den Konzern allein wegen des Lästigkeitswerts erhöhen, der
von einem weiteren jahrelangen Gerichtsverfahren ausgeht. Volkswagen
hätte schon genug damit zu tun, profitabler zu werden, um
Zukunftsinvestitionen besser stemmen zu können. An einer weiteren
juristischen Front wird es für den Autobauer nun darum gehen,
zusätzliche Belastungen im Zusammenhang mit dem Abgasbetrug zu
verhindern.

(Börsen-Zeitung, 13.09.2018)

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