Börsen-Zeitung: Die Risiken überwiegen, Börsenkommentar „Marktplatz“, von Christopher Kalbhenn.

Selten hat eine einzelne Person tagelang das
Geschehen an den globalen Finanzmärkten so stark beeinflusst wie der
Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Nachdem
er mit seiner Erklärung, die EZB werde alles Erforderliche tun, um
den Euro zu erhalten, Erwartungen über sofortige umfangreiche
Staatsanleihekäufe und weitere Stützungsmaßnahmen geweckt hatte,
folgte im Anschluss an die Ratssitzung der Notenbank am Donnerstag
die Ernüchterung, als keine sofortigen Hilfsmaßnahmen angekündigt
wurden. Risiko-Assets, darunter insbesondere die Aktien und Anleihen
der südeuropäischen Peripheriestaaten, die auf Draghis erste
Äußerungen mit kräftigen Kurssteigerungen reagiert hatten, stürzten
jäh ab. Zum Wochenschluss drehte sich das Bild aber schon wieder. Die
Marktteilnehmer kamen zu der Überzeugung, dass den Worten Draghis die
Taten noch folgen werden.

Allerdings ist fraglich, wann es zu Eingriffen am Markt kommen
wird. Draghi hat Staatsanleihekäufe an Bedingungen geknüpft. Im
Unterschied zu den bisherigen Käufen müssen die unter Druck stehenden
Staaten zunächst die Hilfe des europäischen Rettungsfonds in Anspruch
nehmen, ehe es zu Stützungskäufen kommt. Dagegen sträuben sich
Spanien und Italien aber noch. Der Vorteil dieser Lösung: Im
Unterschied zu den bisherigen Staatsanleihekäufen müssen sich die
Nutznießer strengen Reform- und Sparauflagen unterwerfen.

Damit kommt der EZB-Präsident den Sorgen der Geberländer entgegen,
dass massive Staatsanleihekäufe den Reform- und Spareifer der
Peripheriestaaten zum Erliegen bringen. Aus ebendiesem Grund sollen
sich die Anleihekäufe auch auf das kurze Laufzeitensegment bis drei
Jahre beschränken. Die bedrängten Staaten könnten sich dann am kurzen
Ende wieder deutlich günstiger refinanzieren und ihre Schulden
rollen, so dass sie Zeit gewinnen. Gleichzeitig wird der Spar- und
Reformdruck aufrechterhalten, denn über kurz oder lang müssen die
Peripheriestaaten auch am langen Ende wieder Zugang zum Kapitalmarkt
finden.

Diese Kompromislinie dürfte auch erklären, warum es im EZB-Rat nur
eine Gegenstimme gab, das heißt Zustimmung auch von Mitgliedern aus
vielen Geberstaaten. Allerdings bedeuten die Verlautbarungen vom
Donnerstag keineswegs, dass nun Entwarnung angesagt wäre. Für die
Märkte, die am Freitag noch durch den amerikanischen
Arbeitsmarktbericht positive Impulse erhielten, überwiegen nach wie
vor die Risiken. Die Aufwärtsbewegung der Risiko-Assets wird nicht
lange anhalten, weil sich die Hoffnungen auf eine schnelle Lösung der
Staatsschuldenkrise zerschlagen haben und außerdem ein ganzes Bündel
von Problemen kurzfristig für starke Rückschläge sorgen könnte.

Abgesehen davon, dass die Ankündigungen Draghis ihre Wirkung zu
verlieren drohen, wenn sich nicht relativ zeitnah auch konkrete Taten
abzeichnen, wird die Situation Griechenlands mit jedem Tag
brenzliger. Dem hellenischen Staat geht in Kürze das Geld aus, wenn
finanzielle Hilfe von außen ausbleiben sollte. Zwar haben die
Griechen nun ein Sparprogramm vorgelegt, dass hoffentlich mehr wert
ist als das Papier, auf dem es geschrieben wurde. Die Troika wird
aber wohl kaum in der Lage sein, dem Land glaubwürdig signifikante
Reform- und Privatisierungsfortschritte zu attestieren. Zwar gilt
eine Pleite beziehungsweise ein Euro-Austritt per se als für den
Euroraum verkraftbar. Unkalkulierbare Risiken gehen aber von
potenziellen Ansteckungseffekten auf andere Staaten in der Peripherie
aus.

Ein weiteres Risiko ist mit den Wahlen in den Niederlanden am 12.
September verknüpft. Hier ist Premierminister Mark Rutte im April
zurückgetreten, weil die Freiheitspartei seinem Sparpaket die
Unterstützung verweigerte. Es zeichnet sich die Gefahr ab, dass sich
nun in einem weiteren wichtigen Geberland des Euroraums die
Anti-Austeritätskräfte durchsetzen. Ebenfalls am 12. September steht
darüber hinaus die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe über den Rettungsfonds ESM an.

Helfen wird in den kommenden Wochen allerdings der Umstand, dass
keine Anleiheauktionen Spaniens und Italiens anstehen. Die für die
Monatsmitte geplanten Auktionstermine der beiden Länder sind abgesagt
worden. Italien wird erst in rund vier Wochen die turnusmäßige
Monatsendauktion durchführen, Spanien gibt erst im September den
nächsten Auftritt am Kapitalmarkt.

(Börsen-Zeitung, 4.8.2012)

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