Dass das Vereinigte Königreich schon immer
anders tickte als alle anderen EU-Staaten, wusste bereits Obelix.
Beim Besuch der Insel gelangte er bekanntlich zur Einschätzung, dass
ihm die Einheimischen genauso fremd seien wie die Römer: Die spinnen,
die Briten. Dieses kopfschüttelnde Urteil gilt freilich auch
umgekehrt. Entgeistert blicken viele Briten nach Brüssel. Angefeuert
werden sie von Zeitungen, die über die EU-Helmpflicht für Seiltänzer
berichten oder über das Verbot von selbstgebackenen Kuchen beim
Seniorenkaffee.
Kein Wunder also, dass in der Vergangenheit die Briten in
Ministerrunden deutlich öfter Änderungen verlangten oder mit Veto
drohten als andere. Ein eindrückliches Beispiel britischer
Bärbeißigkeit lieferte vor einem Jahr Schatzkanzler George Osborne,
als er Beratungen über Kapitalanforderungen an Banken zunächst einmal
jäh ausbremste. Das war undiplomatisch, aber völlig in Ordnung.
Zuletzt schien es so, als hätten die Briten ihren Frieden mit
EU-Finanzmarktvorgaben und sogar der Bankenunion der Euro-Länder
gemacht. Wie gesagt: es schien so. Eigentlich hätte man wissen
können, dass der Eindruck täuschen musste. Schließlich wurden gerade
eben und werden derzeit Dossiers verhandelt, die für die City wichtig
sind. Nun zeigt sich: Allem Anschein nach haben die Briten nur die
Vorgehensweise geändert und setzen verstärkt auf Gerichte. Sie haben
gegen die Finanztransaktionssteuer geklagt, gegen die Regeln für
Leerverkäufe, gegen die EU-Kapitalrichtlinie. Zudem haben sie
plötzlich mit einem Prüfvorbehalt den Abschluss des
Gesetzesverfahrens über Bankenaufsicht verzögert.
Man kann nur hoffen, dass dahinter nicht Methode steckt. Denn
damit wären erhebliche Risiken verbunden. In Brüssel war gestern eine
häufig gestellte Frage, ob nun der Fahrplan für die Bankenunion
durcheinandergerate – und was es heißen würde, wenn die Klagen Erfolg
hätten. Gewiss, jeder hat das gute Recht, Gesetze vor Gericht prüfen
zu lassen. Aber die Sache wird fragwürdig, wenn eine Regierung im
Verhandlungssaal auf Ansagen verzichtet, aber gleich nach Verlassen
des Sitzungsraums eine Klageschrift gegen das eben Beschlossene
vorbereitet. Oder aus der Tiefe des Raums vor einer Schlussabstimmung
auf einmal Prüfvorbehalte geltend macht, was wie ein taktisches
Scharmützel wirkt. Europa jedenfalls hat wenig Bedarf daran, die
politische Auseinandersetzung ins Gericht zu verlagern. Dafür sind
Ministerrat und EU-Parlament immer noch die geeigneteren
Austragungsorte.
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