Seit Anfang Januar haben sich, gemessen am
StoxxEurope 600 Banks, im europäischen Banksektor rund 385 Mrd. Euro
oder fast ein Drittel der Marktkapitalisierung verflüchtigt. Der
Börsenwert aller Indexmitglieder liegt um über die Hälfte unter dem
vor der Finanzkrise 2006 erreichten Wert. Laut Bloomberg werden die
Indexmitglieder im Durchschnitt zu einem Buchwert von 0,56 gehandelt.
Die Anleger erwarten also tiefe Einschnitte im Eigenkapital oder eine
starke Verwässerung ihres Anteils.
Seit der Mehrheitsentscheidung der Briten, aus der Europäischen
Union auszutreten, haben die Risikoprämien im europäischen Banksektor
zugelegt. Die Spreads für Kreditausfallversicherungen sind vielfach
um mehrere Zehntelprozentpunkte gestiegen. Dramatisch ist die Zunahme
bei der Deutschen Bank, deren CDS-Spread mit fast 250 beinahe den
2011 erreichten Rekord von 264 egalisiert hat. Damit liegt das
deutsche Institut nicht weit entfernt von Banca Popolare (263), und
über Unicredit (224), Credit Suisse (179), Santander (175),
Commerzbank (140), Société Générale (93) oder UBS (76) oder über
britischen Häusern wie Lloyds (138) oder HSBC (103).
Nach dem Brexit-Votum hat sich das Augenmerk der Investoren
zunächst vor allem auf mögliche Folgen für britische Banken
konzentriert. Risiken bestehen vor allem in einem
Immobilienpreiseinbruch. Die Ratingagentur Moody–s hat auch deswegen
den Ausblick für zwölf britische Banken gesenkt. Laut einer Studie
von J.P. Morgan hat Royal Bank of Scotland (RBS) 25,2 Mrd. Pfund an
Gewerbeimmobilienkrediten vergeben, was 66% des materiellen Buchwerts
(Tangible Net Asset Value) der Bank entspreche. Bei Lloyds sollen es
18,1 Mrd. Pfund oder 46% sein. J.P. Morgan kommt dabei zu dem
Schluss, die Risiken daraus seien für die großen Institute „zu
managen“. Darüber fast verdrängt worden ist das Bewusstsein, wie
fragil der Bankensektor in Europa insgesamt geblieben ist, nicht
zuletzt in Italien. Am 29. Juli sollen Resultate eines neuen
Stresstests der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) und der
Europäischen Zentralbank (EZB) mehr Klarheit über einen eventuell
vorhandenen Kapitalbedarf geben. Der schon im Vorfeld aufgeflammte
Streit zwischen der italienischen Regierung und einigen
Repräsentanten europäischer Institutionen darüber, wie der
italienische Bankensektor rekapitalisiert werden soll und wie
geltende Richtlinien zu interpretieren sind, ist aber
besorgniserregend.
Zu viele faule Kredite
Ende März betrug laut Banca d–Italia der Bestand an faulen
Krediten in italienischen Bankbilanzen über 333 Mrd. Euro oder 16,4%
aller Kredite. Die Commerzbank schätzt, dass sich daraus eine
Kapitallücke von 30 bis 60 Mrd. Euro ergibt. Moody–s bezeichnet die
„ungelöste Solvenzfrage“ italienischer Häuser als „gewaltige
Herausforderung“ – und sie könnte ein politisches Extremrisiko
bergen. Wenn das Senatsreform-Referendum, das Ministerpräsident
Matteo Renzi für Oktober angesetzt hat, nicht zuletzt wegen des
Streits über die Bankenrekapitalisierung scheitern würde, könnte eine
Anti-Euro-Regierung ans Steuer gelangen und Italien sich auf den Weg
des „Uscitalia“ begeben – dagegen würde der Brexit wohl verblassen,
hat das Euro-Land doch auch den größten Staatsanleihemarkt Europas.
Italien ist nicht allein. Laut EBA-Schätzungen kam Griechenland
2015 auf einen Anteil von 43,5% an ausfallgefährdeten Krediten, vor
Irland (20,6%), Portugal (18,5%), Rumänien (16,1%) und Ungarn (16%).
Das schwächere Wachstum in Europa als Folge des Brexit dürfte den
Abbau von Problemkrediten erschweren. Die Marktteilnehmer erwarten
auch aus dem Niedrigzins- oder Negativzinsumfeld weitere Belastungen
für die Branche. Das auf Renditedifferenzen bauende Bankgeschäft
sollte mit Negativzinsen aber besser umgehen können als mit
verstärkten Zentrifugalkräften in der EU. Einige schwedische
Institute, die sich anpassungsfähig zeigten, wecken hier etwas
Hoffnung.
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de