Börsen-Zeitung: Durchhalteparolen, Börsenkommentar „Marktplatz“ von Dieter Kuckelkorn

Sie sorgt wieder einmal für erhebliche Unruhe
bei den Marktteilnehmern:die Schuldenkrise der Peripherieländer der
europäischen Union (EU). Am Bondmarkt markierten die Risikoaufschläge
der Staatsanleihen der betroffenen Länder gegenüber den als
(weitgehend) risikolos geltenden Bundesanleihen fast an jedem Tag
neue Höchststände. Und auch die Spreads der Credit Default Swaps
(CDS) auf die Staatsrisiken erklommen immer neue Allzeithochs. Zudem
hat der Euro wieder erheblich an Wert verloren. Ausgehend von einem
Niveau jenseits der 1,42 Dollar ist er auf etwa 1,37 Dollar
zurückgefallen. Und selbst an den durch die Aussicht auf neue
Liquiditätsspritzen der Fed und die freundliche Konjunkturentwicklung
in den EU-Kernländern angetriebenen europäischen Aktienmärkten hat
die Krise dafür gesorgt, dass die Rally stockt – trotz der nach wie
vor niedrigen Bewertungen europäischer Dividendentitel.

In dieser zweiten Runde der EU-Schuldenkrise gibt es zumindest bis
einschließlich Freitag einen markanten Unterschied zum ersten Teil
der Krise im Frühjahr: Während damals öffentlich um die Bewältigung
der in Schieflage geratenen griechischen Staatsfinanzen gerungen
wurde, ist derzeit – zumindest wenn man den offiziellen Standpunkten
der Regierungen und der Europäischen Kommission folgt – eigentlich
gar nichts passiert: Die Sanierung der Staatshaushalte gehe planmäßig
ihren Weg, eine Rettung Irlands oder anderer EU-Mitglieder sei daher
nicht notwendig und ein „Haircut“ der in den entsprechenden Bonds
engagierten Investoren sowieso kein Thema.

Oder etwa doch? An den Märkten will diesem Zweckoptimismus der
Politiker jedenfalls schon seit mehreren Wochen niemand mehr folgen.
Längst ist bei irischen oder portugiesischen Bonds eingepreist, dass
die Investoren im Rahmen einer Rettungsaktion in Anspruch genommen
werden. Am Freitag sah es dann so aus, dass offiziell wird, wovon die
Marktteilnehmer ausgehen: Es kursierten hartnäckig Gerüchte, dass
Irland kurzfristig die Hilfe der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) beantragen könnte und dass es
längst entsprechende informelle Kontakte zwischen Dublin, Brüssel und
Berlin gibt. Rund 80 Mrd. Euro könnten abgerufen werden, hieß es.

Aber wieder einmal hat sich insbesondere die Regierung der Insel
auf ihre bekannte Position zurückgezogen: Irland sei bis Mitte
nächsten Jahres über die Märkte finanziert, sodass eine
Inanspruchnahme des Rettungsschirms durch das Land nicht notwendig
sei. Für die Bondinvestoren klingt das verdächtig nach
Durchhalteparolen, die langfristig kaum Bestand haben dürften. Für
Vertrauen an den Märkten und für eine Normalisierung der
Risikoaufschläge sorgt Dublin auf diese Weise jedenfalls nicht.

Premierminister Brian Lenihan sollte auf seinen Notenbankchef
Patrick Honohan hören: Dieser hat nämlich angemerkt, dass die bisher
von der irischen Regierung unternommenen Bemühungen zur Reduzierung
des Defizits und zur Rekapitalisierung der Banken die Investoren
nicht überzeugten. Honohan verweist dabei auf die nach wie vor sehr
angespannten irischen Staatsfinanzen.

Die Marktreaktion auf die Gerüchte einer Inanspruchnahme der
EU-Hilfe ist bezeichnend: Die Risikoaufschläge reduzierten sich am
Freitag merklich, und der Euro holte einen Teil seiner Verluste auf.
Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass mit einem Ende der Krise
erst dann zu rechnen ist, wenn von Seiten der Politik überzeugende
Lösungen präsentiert werden. Die meisten Ökonomen sind davon
überzeugt, dass sich Länder wie Irland und Portugal kaum mehr am
eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können. Daher wird sich die
Inanspruchnahme des EU-Rettungsschirms letztlich kaum vermeiden
lassen. Ein Spiel auf Zeit, wie es die europäische Politik derzeit
noch praktiziert, wird auch auf Sicht mehrerer Monate nicht zu einer
Beruhigung der Nerven der Marktteilnehmer führen, sondern die Lager
eher noch verschlimmern.

Aber auch eine Inanspruchnahme des Rettungsschirms ist nicht ohne
Risiken. Wenn Irland diese Entscheidung treffen sollte, werden sich
die Marktteilnehmer auf Portugal als das nächstschwächere Land
stürzen. Spätestens wenn danach Spanien an der Reihe ist, wird die
Lage brenzlig.

(Börsen-Zeitung, 13.11.2010)

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