Seit dem Bekanntwerden der Manipulation von
Emissionswerten bei Dieselfahrzeugen des VW-Konzerns auf dem
Prüfstand mit illegalen Abschalteinrichtungen vor fast genau vier
Jahren steht die Frage im Raum, ob die Führung des Wolfsburger
Autobauers von dem Betrug mindestens wusste und wenn ja, zu welchem
Zeitpunkt. Aufgearbeitet ist die Schuldfrage in letzter Instanz nach
wie vor nicht. Man muss auch nach der gestrigen Anklageerhebung durch
die mit der juristischen Aufarbeitung der Dieselabgasaffäre stark
ausgelastete Staatsanwaltschaft in Braunschweig wegen
Marktmanipulation gegen die amtierenden Aufsichtsrats- und
Vorstandsvorsitzenden, Hans Dieter Pötsch und Herbert Diess, sowie
gegen den kurz nach Veröffentlichung der Abgasmanipulationen
zurückgetretenen Konzernchef Martin Winterkorn befürchten, dass die
Aufklärung noch lange andauern wird.
Auf die Komplexität der rechtlichen Problemstellung verwies vor
Jahresfrist der zuständige Zivilsenat am Oberlandesgericht
Braunschweig nach Eröffnung des Kapitalanleger-Musterverfahrens
gegen VW und Porsche. In diesem geht es wie nun in der Anklage gegen
Pötsch, Diess und Winterkorn um den Vorwurf des Verstoßes gegen
kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten. Anleger, vertreten durch
die Fondsgesellschaft Deka, streiten um Schadenersatzforderungen in
Milliardenhöhe.
Die Erfolgsaussichten der Kläger haben sich durch die
Anklageerhebung gegen die VW-Spitze, für die weiterhin die
Unschuldsvermutung gilt, nicht erhöht. Bis jetzt zeigt sich nur, dass
die Ermittler im Land Niedersachsen, das als zweitgrößter Aktionär
mit 20% an dem Autobauer beteiligt ist, die Aufarbeitung
voranbringen und sich selbst nicht dem Vorwurf der Beißhemmung
aussetzen wollen. Dabei wartet die im April gegen Winterkorn und
vier weitere Führungskräfte von VW erhobene Anklage wegen schweren
Betrugs und Verstoßes gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb
noch auf Zulassung.
Für Winterkorn, aber gerade für Pötsch und Diess, die den
VW-Konzern in Richtung Zukunftstechnologien bewegen wollen, wäre ein
Gerichtsverfahren mit erheblichem Aufwand verbunden. Die
Öffentlichkeitswirkung wäre enorm. Kaum vorstellbar, dass sie ihre
bisherigen Aufgaben weiterführen könnten. Ein Gerichtsverfahren würde
die Gelegenheit bieten, die Aufklärung der Affäre zu beschleunigen
und die Überzeugung des VW-Aufsichtsratspräsidiums zu beweisen,
dass die Vorwürfe der Marktmanipulation gegen die Top-Manager haltlos
sind.
(Börsen-Zeitung, 25.09.2019)
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