Jetzt ist es quasi amtlich: Mario Draghi wird in
die Notenbank-Annalen als erster EZB-Präsident eingehen, in dessen
Amtszeit die Leitzinsen im Euroraum nicht erhöht wurden. Mit seinem
neuen Zinsausblick (Forward Guidance) schließt der EZB-Rat de facto
für 2019 eine Anhebung der rekordniedrigen Sätze aus. Draghi scheidet
aber Ende Oktober aus. Das Problem an der gestrigen Entscheidung, zu
der auch neue Langfristkredite (TLTRO) gehören, ist aber weniger
dieses Schicksal des Italieners. Das Problem ist vielmehr, dass die
Europäische Zentralbank (EZB) ihren extremen Krisenmodus weiter
zementiert.
Sicher, es hätte gewiss auch noch schlimmer kommen können. So war
in der Diskussion, eine Zinserhöhung gar schon bis zum Frühjahr 2020
auszuschließen. Zudem gab es wohl Überlegungen, beim neuen
TLTRO-Programm noch großzügiger zu sein und etwa auf einen variablen
Zins für die Kredite zu verzichten. Das mag neben den deutlich nach
unten geschraubten Wachstumsprognosen auch für die Hardliner im
EZB-Rat ein Grund gewesen sein zuzustimmen. Trotzdem ist die
Entscheidung fragwürdig, bedenklich und gefährlich.
Die Entscheidung ist fragwürdig, weil es um die Euro-Wirtschaft
gar nicht so schlecht steht, wie derzeit oft der Eindruck erweckt
wird. Was, wenn es bald eine Einigung in den Handelsstreitigkeiten
gibt und ein harter Brexit verhindert wird? Dann kann sich die
Stimmung schnell wieder drehen und die darbende Euro-Wirtschaft einen
Schub bekommen. Die EZB wäre aber gefangen in ihrer Forward Guidance.
Die Entscheidung ist bedenklich, weil Draghi selbst einräumt, dass
die Risiken primär von außerhalb der Eurozone drohen, auf die die EZB
keinen Einfluss hat. Überhaupt erscheint nach all den Jahren
ultralockerer Geldpolitik zweifelhaft, was neue Lockerungen noch
bewirken.
Und schließlich ist die Entscheidung gefährlich, weil sie als
Panik ausgelegt werden kann (und teils wird) und weil sie
Begehrlichkeiten weckt. Am Donnerstag gab es bereits Fragen nach
einer Neuauflage der Nettoanleihekäufe (Quantitative Easing).
Die EZB läuft Gefahr, dass sie das Schicksal der Bank of Japan
ereilt, die seit Jahren nicht aus den Null- und Negativzinsen und den
breiten Wertpapierkäufen herausfindet. Um eine „Japanisierung“ des
Euroraums zu verhindern, muss aber auch die Politik endlich mitmachen
– mit kluger Fiskalpolitik, entschlossenen Strukturreformen und einer
sinnvollen Vertiefung der Währungsunion. Die Geldpolitik ist da
allein überfordert. Die Politik darf Draghis Nachfolger – wer auch
immer das sein wird – nicht so allein stehen lassen wie das bei
Draghi oft der Fall war.
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