Börsen-Zeitung: Gefragte Zykliker, Marktkommentar von Thorsten Kramer

Die Statistik spricht eine klare Sprache: Neben
dem Banken- und dem Finanzdienstleistungssektor sind es insbesondere
die zyklischen Branchen, die in den ersten sieben Wochen an Europas
Aktienmärkten gefragt gewesen sind. Der Stoxx-Index für
Technologieunternehmen ist seit Jahresbeginn bereits um rund 8%
geklettert, der Sektor Reise & Freizeit um 7,5%, und selbst der
Autosektor, der mit der schwachen Nachfrage aus den Euro-Ländern zu
kämpfen hat, schaffte einen Anstieg um knapp 4,5%.

Hintergrund dieser Entwicklung ist die Hoffnung vieler
Marktteilnehmer, dass die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten
Fahrt aufnimmt – getragen von den beiden großen Volkswirtschaften USA
und China. Mit Blick auf jüngst veröffentlichte Konjunkturdaten
sollten Anleger jedoch nicht zu sorglos sein, zumal die Entwicklung
am Devisenmarkt das Sentiment zusätzlich belastet. Seit dem
zurückliegenden Spätsommer ist der Euro um rund 10% bis auf aktuell
1,33 Dollar geklettert – und Devisenanalysten halten einen weiteren
Anstieg in Richtung 1,40 Dollar in den nächsten Monaten für
wahrscheinlich. Dies macht die Produkte europäischer Anbieter
außerhalb des eigenen Währungsraums teurer. Hinzu kommt, dass viele
zyklische Aktien inzwischen schon hoch bewertet sind: Sie notieren
inzwischen auf einem Niveau, das eher einem Stand des vielbeachteten
Ifo-Geschäftsklimas von zumindest 105 Zählern entspricht, wie die
Analysten der Credit Suisse bemerken. Tatsächlich ist er von diesem
Niveau aber immer noch ein Stück weit entfernt.

Rotation steht noch aus

In der Erwartung einer konjunkturellen Belebung rechnen
Investmentstrategen mit einem sehr guten Jahr an Europas
Aktienmärkten. Die große Rotation vom Anleihemarkt, an dem die
historisch niedrigen Zinsen noch lange Bestand haben sollten, zum
Aktienmarkt lässt allerdings auf sich warten. Denn wie festzustellen
ist, verzeichneten die Aktienmärkte seit Jahresbeginn zwar Zuflüsse,
die speisten sich aber vorrangig aus den Cash-Positionen der
Investoren. Anleihen spürten derweil ebenfalls zunehmendes Interesse,
nicht zuletzt in der nun abgelaufenen Handelswoche, in der
enttäuschende Konjunkturdaten aus der Eurozone die Anleger
eindringlich an die Notwendigkeit einer guten Diversifizierung
erinnerten. Und bei der Gewichtung der Risiken spielen Staatsanleihen
nach wie vor eine zentrale Rolle. An den Aktienmärkten kommt es in
diesem Jahr verstärkt auf die Selektion an. Auf kurze Sicht könnten
dabei Aktien aus defensiven Branchen und mit hohen Dividendenrenditen
wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Aber mit
Blick auf das Gesamtjahr sollten es tatsächlich zyklische Werte sein,
die von einer Belebung der globalen Konjunktur im besonderen Maße
profitierten. Die Frühindikatoren signalisieren jedenfalls eine
bevorstehende Verbesserung der Lage.

Auf die Eurozone trifft dies indes lediglich in beschränktem Maße
zu – obwohl das Vertrauen in den Währungsraum wächst. Die am
Donnerstag veröffentlichten Wachstumsdaten enttäuschten die Prognosen
der Ökonomen, weil die Peripherieländer in einer Rezession
feststecken und nun auch die Kernländer einen rückläufigen Beitrag
zum Wachstum beisteuerten. Vor diesem Hintergrund gehören ganz
eindeutig Aktien von Unternehmen in ein ausbalanciertes Portfolio,
die einen großen Anteil ihres Geschäfts außerhalb der Eurozone
tätigen.

Am stärksten trifft dies zurzeit auf den europäischen
Technologiesektor zu, der rund 90% seiner Einnahmen außerhalb der
Eurozone generiert. Danach folgen die Sektoren Halbleiter und
Automobil, bei denen der Anteil des Geschäfts, das jenseits des
eigenen Währungsraums stattfindet, ebenfalls deutlich über dem
Durchschnittswert aller zyklischen Sektoren in Höhe von 74% liegt.

Die zu Beginn der abgelaufenen Handelswoche vorgelegte monatliche
Fondsmanagerumfrage von Bank of America Merrill Lynch zeigt, dass
sich professionelle Anleger bereits sehr umfangreich in zyklischen
Branchen positioniert haben. Der Anteil derjenigen, die hier eine
Übergewichtung halten, liegt in der Nähe des Sechsjahreshochs. Hier
dürften in den nächsten Wochen folglich Gewinnmitnahmen ein Thema
sein, denn insbesondere durch die nun näher rückende Parlamentswahl
in Italien wächst die Verunsicherung. Schließlich würde ein Erfolg
des ehemaligen Präsidenten Silvio Berlusconi aus Sicht der Märkte am
Reformkurs des Landes rütteln. Dann könnte sich für langfristig
orientierte Konjunkturoptimisten indes die Chance ergeben, sich für
den nächsten Anstieg der zyklischen Sektoren zu positionieren.

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