Die Meldungen wiederholen sich seit Tagen auf
den Nachrichtentickern: „Irlands Antrag für Rettungsfonds rückt
näher.“ Die Zeile ist zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung
geworden. Dabei wird die Frage nach der Notwendigkeit der
Rettungsaktion von einigen Medien und Marktteilnehmern seit geraumer
Zeit gar nicht mehr gestellt. Viele haben früh aufgehört, sich für
das Ob zu interessieren. Was kümmert, ist nur das Wann. Sicher gibt
es gute Argumente dafür, dass sich Irland von Europa stützen lässt.
Schließlich dürften dann die hohen Risikoprämien irischer Schuldtitel
schrumpfen – gewiss sehr zur Beruhigung aller Investoren, die
Irland-Anleihen in ihren Büchern haben und Abschreibungen fürchten.
Aufatmen dürfte zudem die Europäische Zentralbank, die im Augenblick
viel Geld investieren muss, um die Liquidität der irischen Banken zu
sichern – und die bereits betont hat, dass sie nicht ewig den
Ausputzer spielt.
Von Irland nach Portugal
Andererseits sind mit der Inanspruchnahme des EU-Rettungsfonds
durch Irland auch Risiken verbunden. Und zwar nicht nur für die
irische Regierung, die Angst hat, dafür vom Wähler bestraft zu
werden. Sondern auch für andere Euro-Staaten, allen voran Portugal.
Denn sie müssen, wenn Irland unter den Schirm geht, davon ausgehen,
stärker ins Blickfeld zu rücken und unter Druck zu geraten.
Vielleicht nicht sofort, vielleicht tritt erst Entspannung am Markt
ein. Aber mittelfristig muss Portugal damit rechnen, zum nächsten
Testfall erklärt zu werden.
All diese Überlegungen sind seit dem Treffen der EU-Finanzminister
nur noch für das volkswirtschaftliche Seminar relevant, nicht mehr
für Politiker und Investoren. Denn die Euro-Finanzminister haben sich
entschieden. Sie folgen der Erwartungshaltung am Markt und bitten
Irland in die Rettungsfonds hinein. Dass sich die Minister dabei in
ihren Formulierungen zurücknehmen, ist allein der Tatsache
geschuldet, dass es unklug wäre, gegen Regeln der Diplomatie zu
verstoßen – oder gegen Regeln des großen Geldtopfs, der Europäischen
Stabilitätsfazilität EFSF.
Der Fall Irland beweist daher vor allem eins: Den Regierungen der
Eurozone ist im Frühsommer leider doch nicht der große
Befreiungsschlag geglückt. Sie bleiben vorerst Getriebene. Die
Zusammenstellung des Hilfspakets für Griechenland und die
Installation des großen Rettungsfonds hat die Investoren nur für
einige Wochen zur Ruhe gebracht. Nun ist der Balsam verbraucht, die
bloße Existenz eines zahlungskräftigen Rettungsschirms reicht nicht
mehr aus, um Verwerfungen vorzubeugen.
In anderen Worten: Es war zwar richtig, dass die EU den Schirm
aufgespannt hat, um finanzschwache Euro-Staaten nicht im Regen stehen
zu lassen. Es war zudem wichtig, dass es gelungen ist, den EFSF rasch
arbeitsfähig einzurichten.
Aber der Fonds reicht nicht aus, um die Schuldenkrise in Euroland
auf Dauer zu lösen. Erstens, weil er ohnehin auf drei Jahre befristet
ist. Und zweitens, weil ein nachhaltiger Schirm auf andere
Bedingungen gegründet werden muss.
Grenzen der Belastbarkeit
Die Bundesregierung hat recht, wenn sie sich in diesem
Zusammenhang gegen den Vorwurf wehrt, ihr Ruf nach Einbeziehung
privater Gläubiger in künftigen Notfällen sei schuld an der aktuellen
Krise. Denn die Anschuldigung lässt außen vor, dass der
EU-Rettungsfonds zwar bei seiner Einsetzung nur der Zustimmung von
Regierungschefs bedurfte, seine tatsächliche Inanspruchnahme nun aber
die Akzeptanz der Bürger benötigt.
Die große Sorge hat einen Namen. Sie heißt nicht Irland oder
Portugal, sondern Spanien. Der absehbare Gang der Iren nach Brüssel
und Luxemburg löst automatisch die Frage nach der Belastbarkeit aus:
Wie viele und welche notleidenden Länder kann die EU stützen? Das ist
schwer zu sagen. Denn leicht werden bei Kalkulationen flankierende
Maßnahmen unterschätzt – oder der politische Spielraum überschätzt.
Lastenteilung in der Krise
Spätestens dann nämlich, wenn öffentlich Zweifel daran geäußert
werden, ob die Rettungsmilliarden auch für große Notfälle reichen,
wird sich die derzeitige Expertendiskussion über Defizite und
Sanierungskosten wieder zurück zu einer breiten politischen
Kontroverse entwickeln, in der schnell Grenzen europäischer
Solidarität sichtbar werden. Gut möglich, dass in einigen
Hauptstädten Demonstrationen gegen Sparpakete dann von Protesten
gegen Hilfen für den Euro-Nachbarn begleitet werden. Gerade deshalb
ist es wichtig, am Vorhaben festzuhalten, einen langfristigen
Krisenmechanismus zu installieren, der bei Schuldenkrisen nach 2013
die Lasten zwischen Steuerzahlern und Gläubigern aufteilt. Wer aus
dem Fall Irland die Lehre zieht, Investoren aus Angst vor möglichen
Fluchtbewegungen auch in Zukunft doch lieber von jeder Mithaftung zu
verschonen, muss mit dem Unmut derer rechnen, die für Europas
finanzielle Notoperationen zahlen. Und dann gelangt die EU in der Tat
an den Punkt, der dieser Tage – noch vielleicht etwas zu voreilig –
als Schicksalsfrage bezeichnet wird.
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