Börsen-Zeitung: Gratwanderung, Kommentar zu den Äußerungen von EZB-Präsident Mario Draghi, von Mark Schrörs

EZB-Präsident Mario Draghi hat zuletzt beileibe
nicht immer eine gute Figur gemacht: Im Mai sprach er wortreich über
alle möglichen Instrumente, die der EZB im Kampf gegen Euro-Krise und
Rezession noch zur Verfügung stünden. Im Juni dämpfte er dann
Spekulationen auf EZB-Handeln – nur um kurz darauf diesen Eindruck
wieder zu korrigieren. Schließlich zauberte er im Juli seine Version
der „Forward Guidance“ aus dem Hut, also den Ausblick lange extrem
niedriger Leitzinsen.

Gestern nun stand er vor einer Gratwanderung: Einerseits wollte er
die verbesserte Konjunkturlage in Euroland würdigen, andererseits
aber zu viel Euphorie bremsen. Alles in allem ist ihm das ganz gut
gelungen – auch wenn er mitunter sehr die Moll-Töne anstimmte.

Tatsächlich besteht für Enthusiasmus kein Grund. Sicher, die
Rezession ist im Frühjahr zu Ende gegangen und Stimmungsindikatoren
deuten auch auf leichtes Wachstum im dritten Quartal hin. Ein
kräftiger Aufschwung aber zeichnet sich nicht ab und die Risiken sind
weiter hoch. Die Folgen eines Militärkonflikts in Syrien sind da nur
ein Beispiel.

Bei allen Nebenwirkungen und Risiken der Niedrigzinspolitik ist
daher die Zeit für Zinserhöhungen noch nicht reif. Auch die
Bundesbank hält die Niedrigzinsen ja weiter für angemessen. Genauso
aber gilt, dass die Entwicklung gegen weiter sinkende Zinsen spricht.
Hinzu kommt nicht nur, dass die Wirkung einer Senkung im Zweifelsfall
nur gering wäre. Zudem nähmen Probleme und Risiken weiter zu. Das
gilt für eine erneute Einengung des Zinskorridors und erst recht für
einen negativen Einlagenzins.

Vorsicht ist auch bei neuen Liquiditätsspritzen angesagt. Sie
können zwar einen rasanten Anstieg der Geldmarktsätze abmildern, wenn
der die Erholung gefährdet. Sicher ist das aber nicht. Und auch da
gilt: Je länger solche Maßnahmen andauern, desto schwerer wird es,
Investoren und Marktteilnehmer eines Tages wieder zu entwöhnen.

Richtig ist, dass Draghi Forderungen widersteht, die Forward
Guidance zu konkretisieren. Das Instrument ist ohnehin fragwürdig und
mit Risiken behaftet. Eine Kopplung etwa an die Arbeitslosenquote –
wie sie viele verlangen – wäre aber erst recht nicht nur ökonomisch
zweifelhaft, sondern stünde auch nicht im Einklang mit dem
EZB-Mandat.

So richtig indes Draghis vorsichtige Rhetorik angesichts der
Risiken für Euroland sein mag – er muss auch aufpassen: Denn wenn er
die Lage allzu düster malt, könnten Investoren und Wirtschaftsakteure
auch auf die Idee kommen, die EZB wisse etwas, was sie nicht wissen.

(Börsen-Zeitung, 6.9.2013)

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