Börsen-Zeitung: High Noon in Essen, Kommentar zu Thyssenkrupp von Christoph Ruhkamp

Endlich kommt Thyssenkrupp in Bewegung. Noch vor
einem Jahr hätte der Vorstand vielleicht erwägen können, ungefähr so
weiterzumachen wie bisher. Doch inzwischen gerät Konzernchef Heinrich
Hiesinger so sehr unter den Druck des Kapitalmarkts, dass er
Ergebnisse liefern muss.

Thyssenkrupp ist derart hoch verschuldet und derart schwach mit
Eigenkapital ausgestattet, dass nur in das Nötigste investiert wird.
Einen Wirtschaftsabschwung würde der Konzern nicht verkraften.
Deshalb braucht Hiesinger – sechs Jahre nach seinem Amtsantritt –
dringend den Befreiungsschlag: Die Fusion der Stahlsparte mit dem
Europageschäft des indischen Konkurrenten Tata Steel muss gelingen,
damit Thyssenkrupp die schwierige Sparte samt Pensionslasten
entkonsolidieren kann.

Ein heftiger Schlagabtausch mit der Arbeitnehmerseite im
Aufsichtsrat ist programmiert. Rund 25.000 Stahlarbeiter aus
Deutschland sollen unter das Dach eines indischen Konzerns wechseln,
auf den Thyssenkrupp nach der Fusion als Minderheitseigner keinen
großen Einfluss mehr hätte. Vor diesem Hintergrund kündigen die
Gewerkschafter der IG Metall an, dass der Tata-Deal gegen sie nur
unter Anwendung des Doppelstimmrechts durch den
Aufsichtsratsvorsitzenden durchzusetzen wäre. Als Alternative zum
Stahl-Exit werden die Abtrennung und der Börsengang der lukrativen
Sparten für Aufzüge, Automobilkomponenten und Großanlagenbau
ventiliert.

Aufsichtsratschef Ulrich Lehner wird nichts anderes übrig bleiben
als anzudrohen, dass er von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch macht,
um den Tata-Deal durchzuboxen. Lehner gilt als Wahrer der Interessen
der Krupp-Stiftung, die der Einheit des Unternehmens verpflichtet ist
– wenngleich er kein direkter Vertreter der Stiftung im Aufsichtsrat
ist. Er wird wohl die Tata-Fusion als das geringere Übel im Vergleich
zu einer Aufspaltung samt Börsengang ansehen.

Am Ende könnte es so laufen, dass sich die Vertreter von
Arbeitnehmern und Anteilseignern an einen Tisch setzen, um einen
Kompromiss auszuhandeln. Der kann nur so aussehen, dass der Konzern
weitreichende Zugeständnisse für Standorte und Arbeitsplätze der
Stahlsparte in Deutschland macht. Doch dann geriete der Deal zum rein
bilanziellen Befreiungsschlag – ohne die angestrebte Kostensenkung
durch Synergien mit Tata. Der Kapitalmarkt dürfte das im Vergleich
zum Stillstand begrüßen. Lieber wäre den Investoren jedoch die
Aufspaltung samt Börsengang. Eine solche Kapitalspritze hat der
Konzern bitter nötig.

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de

Original-Content von: B?rsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell