Börsen-Zeitung: Höchste Zeit für den Exit / Kommentar zur Inflationsentwicklung in der Eurozone von Claus Döring

Die Europäische Zentralbank ist am Ziel: Mit
einer Inflationsrate in der Eurozone von voraussichtlich 1,9 % hat
sie für den Mai eine Punktlandung geschafft. Das wäre die
wohlmeinende Interpretation der aktuellen Inflationsdaten. Man kann
die Zahlen aber auch so verstehen, dass wir demnächst weit über das
als Preisstabilität definierte Ziel von knapp unter 2 %
hinausschießen werden. Das ist leider die realistischere
Interpretation. Denn die Notenbank hat bisher nicht, wie bei einem
Landeanflug üblich, das Tempo gedrosselt, sondern ist unverändert mit
voller Schubkraft unterwegs. Sowohl der Leitzins als auch die noch
bis mindestens September laufenden unkonventionellen Maßnahmen der
Anleihekäufe von monatlich 30 Mrd. Euro reflektieren eine
Geldpolitik, in der Deflationsbekämpfung im Zentrum steht. Diese
Gefahr – so sie jemals wirklich bestanden hat und nicht nur eine
Notlüge zur Finanzierungserleichterung für marode Staatshaushalte war
– kann angesichts der Datenlage nun nicht mehr länger als Ausrede
für die Fortsetzung der monetären Staatsfinanzierung durch die EZB
herhalten.

EZB-Präsident Mario Draghi hat jetzt die Chance zu beweisen, dass
die Hüter des Euro tatsächlich keine Politik für einzelne Länder
machen und beispielsweise für ins Chaos verliebte Italiener eine
Extrawurst braten, sondern die Währungsunion als Ganzes im Blick
haben. In Deutschland, Frankreich und Spanien und damit in drei der
vier größten Euro-Volkswirtschaften ist die Inflationsrate schon über
die 2-Prozent-Marke gestiegen. Die Konjunktur ist robust, die
Arbeitslosenquote in der Eurozone bewegt sich mit 8,5 % auf dem
niedrigsten Niveau seit zehn Jahren.

Es ist höchste Zeit, dass der EZB-Rat in seiner Sitzung in zwei
Wochen den klaren Beschluss zur Beendigung der Anleihekäufe nach dem
September fasst und die Märkte auch auf ein zinspolitisches Signal
vorbereitet, sofern die Teuerungsrate ihre Dynamik beibehält. Denn
bis zu einer Normalisierung der Geldpolitik ist es ein weiter Weg,
bis zum Abbau der Anleihe-Billionen in der EZB-Bilanz ein noch viel
weiterer.

Den Exit aus den unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen wie
dem Quantitative Easing zu beschließen, ist weit mehr als ein
technischer Schritt. Für die EZB geht es um ihre Glaubwürdigkeit.
Notenbanker, die unter Verweis auf geopolitische Risiken, auf
mögliche transatlantische Handelskonflikte oder auf politische
Turbulenzen in Italien an der ultraexpansiven Geldpolitik festhalten
wollen, untergraben das Vertrauen in die Institution EZB und leisten
ihrer weiteren Politisierung Vorschub.Text

(Börsen-Zeitung, 01.06.2018)

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