Börsen-Zeitung: Hoffnungsschimmer, Kommentar zum Brexit von Andreas Heitker

Auch wenn britische Presseberichte schon einen
anderen Eindruck vermitteln: Von einem Durchbruch in den
Brexit-Verhandlungen sind wir noch immer weit entfernt. Noch immer
wird um alle wesentlichen Scheidungsmodalitäten gerungen. Allerdings
sehen mittlerweile auch die Briten die Gefahr, dass der EU-Gipfel in
zwei Wochen erneut feststellen muss, dass es nicht genügend
Fortschritte gibt, um die nächste Verhandlungsphase zu beginnen.

Am Montag wird bereits eine Vorentscheidung fallen – denn dann
läuft die letzte Frist für britische Zugeständnisse aus. Die Uhr
tickt. Und deshalb gibt es hinter den Kulissen zurzeit viel Bewegung
in den Gesprächen. Endlich, möchte man sagen, ist doch im letzten
halben Jahr schon viel zu viel Zeit in wenig konstruktiven
Verhandlungsrunden vertrödelt worden.

Bei der finanziellen Schlussrechnung gibt es aktuell wohl die
größten Bewegungen. Es geht hier um die bis zum Austritt auflaufenden
Zahlungsverpflichtungen Großbritanniens. Britische Zeitungen
berichten bereits über eine Verständigung auf eine
Berechnungsmethode, die zu einer Summe von 45 Mrd. bis 55 Mrd. Euro
führen könnte. Auch wenn noch keine Details bekannt sind, so hört
sich dies erstmals nach einer halbwegs realistischen Position an. In
Brüssel war ja von Forderungen zwischen 60 Mrd. und 100 Mrd. Euro die
Rede gewesen.

Sollte es wirklich gelingen, bis zur nächsten Woche den Zankapfel
Abschlussrechnung vom Tisch zu bekommen, wäre dies ein
Hoffnungsschimmer für die weiteren Brexit-Gespräche, wie auch aus den
gestrigen Marktreaktionen herauszulesen ist. Mehr allerdings auch
nicht. Denn auch wenn es hier um viel Geld geht – ein Kompromiss in
der Finanzfrage war von Anfang an als möglich und wahrscheinlich
einzustufen. Der eigentliche Knackpunkt der Verhandlungen – dies
zeigt sich mittlerweile deutlicher denn je – ist das Problem der
künftigen irisch-nordirischen Grenze. Hier geht es um die Integrität
des EU-Binnenmarkts auf der einen und die territoriale Integrität
Großbritanniens auf der anderen Seite. Die Positionen sind
unvereinbar. Man kann sich nicht einfach in der Mitte treffen, selbst
wenn man wollte. Und wenn man nicht vorsichtig vorgeht, nimmt auch
noch der im Karfreitagsabkommen von 1998 besiegelte Friedensprozess
Schaden. Egal, wie eine Einigung im Endeffekt aussehen wird –
Gewinner wird es keine geben. Es geht nur um Schadensbegrenzung. Die
Irland-Frage steht damit symptomatisch für den ganzen Brexit.

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