Börsen-Zeitung: In der Defensive, Kommentar zur Bilanzvorlage von ThyssenKrupp, von Annette Becker.

Von durchgearbeiteten Nächten gezeichnet ist
Heinrich Hiesinger am Samstag vor die Presse getreten. Die
Bilanzvorlage war kurzerhand vorgezogen worden. Nicht etwa, weil der
noch schnell eingetütete Verkauf des US-Stahlwerks in Alabama auf den
Nägeln brannte, sondern weil dramatische Entwicklungen beim
finnischen Partner Outokumpu nach Öffentlichkeit verlangten.

Speziell zu diesem Thema wollte sich ThyssenKrupp die
Deutungshoheit sichern. Denn während bei den vermaledeiten
Stahlwerken in Übersee der Fingerzeig unverändert auf das alte
Management gerichtet werden kann, war es das Vorstandsteam um
Hiesinger höchstselbst, das den Verkauf der Edelstahltochter an die
finnische Outokumpu vor knapp zwei Jahren als Befreiungsschlag
feierte. Jetzt muss der Verkauf teilweise zurückgedreht werden.

Zwar gewinnt Hiesinger der Rückabwicklung auch positive Seiten ab
– ohne diese wäre ThyssenKrupp künftig weitaus höheren bilanziellen
Risiken ausgesetzt -, doch führt der Kurswechsel erneut zu hohen
Belastungen. Ganz abgesehen davon, dass die Essener nun plötzlich
wieder im Edelstahlgeschäft mit einem defizitären Werk am Start sind.

Auf der Habenseite verbucht Hiesinger zu Recht die Rückkehr zu
einem positiven freien Cash-flow nach einer sechs Jahre währenden
Durststrecke. Auch die Einsparungen aus dem Effizienzprogramm
„Impact“ in Höhe von 600 Mill. Euro sowie die strategische
Fortentwicklung der Industriesparten können sich sehen lassen. Doch
der Appell an Öffentlichkeit und Investoren, diese Leistungen auch zu
würdigen, verfängt nicht.

Wer als Erfolg verkaufen muss, dass der Jahresverlust von 5 auf
1,5 Mrd. Euro verbessert wurde, kann nicht auf Gnade von den
Aktionären hoffen. Denn immerhin ist es das dritte Geschäftsjahr in
Folge, in dem ThyssenKrupp einen milliardenschweren Verlust zeigt.

Obendrein ist keineswegs gesichert ist, dass am Ende des laufenden
Turnus wieder schwarze Zahlen stehen. Zwar wird ein ausgeglichenes
Ergebnis ins Auge gefasst, darin nicht enthalten sind jedoch die
Ergebniseffekte der beiden Edelstahlgeschäfte, die ThyssenKrupp nun
wieder an der Backe hat.

Hiesinger, der Mitte 2011 zum radikalen Portfolioumbau blies, hat
sich faktisch des Handlungsspielraums beraubt. Angesichts einer auf
7,1% geschrumpften Eigenkapitalquote und einem Verhältnis der
Nettoschulden zum Eigenkapital von über 200% steht der ThyssenChef
mit dem Rücken zur Wand.

(Börsen-Zeitung, 3.12.2013)

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