Schon zu Beginn der mündlichen Verhandlung über
die Verfassungsmäßigkeit der Euro-Rettung machte Gerichtspräsident
Andreas Voßkuhle klar, dass in dem anhängigen Verfahren nicht über
eine Bewertung der ökonomischen Strategie in der Staatsschuldenkrise
gerungen werde. Vielmehr gehe es darum, die Grenzen auszuloten, die
das Grundgesetz der Politik bei deren Bewältigung setze. Karlsruhe
wird in seinem in einigen Monaten erwarteten Urteil also keinerlei
Kommentare über das Für und Wider der Euro-Rettung abgeben, wie das
mancher erhofft hat. Gleichwohl geht es hier aber um mehr, als nur um
die mögliche Verfassungsverletzung des einen oder anderen unter dem
Druck der Finanzmärkte durch die Parlamente gepeitschten Gesetzes:
Verhandelt wird nicht weniger als die politische Verfasstheit der
Eurozone.
Tatsache ist, dass die Integration Europas seit dem Zweiten
Weltkrieg durch begrenzte Einzelermächtigungen von Staaten
vorangetrieben worden war. Teile von Hoheitsrechten wurden an
EU-Institutionen übereignet. Die Mitgliedstaaten blieben indes Herren
der Verträge. Doch inzwischen ist die Integration – zuletzt mit der
Europäischen Währungsunion – so weit vorangeschritten und haben die
europäischen Institutionen ein solches Eigenleben entwickelt, dass
sie sich immer mehr Rechte herausgenommen haben, womit Europa eine
neue Verfassungsqualität erreicht hat. Ein Auseinanderbrechen der
Gemeinschaft hätte dramatische Auswirkungen auf alle Mitglieder.
Zudem tragen die Finanzmärkte dazu bei, dass der Integrationsdruck
immer weiter ansteigt. Es ist Aufgabe der Karlsruher Richter als
Hüter der Verfassung dafür zu sorgen, dass in dem Integrationsprozess
die demokratischen Rechte gewährleistet werden und nicht mit dem Gang
durch die Instanzen oder durch hastige Hoheitsübertragungen nach
Brüssel ausgehöhlt werden. Deshalb ist zu hoffen, dass Karlsruhe
nicht nur wie erwartet die Mitwirkungsrechte des Parlaments in der
Europapolitik konkretisiert, sondern auch eine verstärkte
demokratische Legitimation auf europäischer Ebene anmahnt. Zudem muss
Berlin klargemacht werden, ab welchem Punkt sich weitere
Hoheitsübertragungen verbieten, weil sonst der Wahlakt nur noch zum
folkloristischen Ereignis verkommt, wenn die Macht nationaler
Instanzen gegenüber Brüssel gebrochen ist. In diesem Fall muss
Karlsruhe von der Politik schon aus eigenem Verfassungsverständnis
heraus ein Konzept einfordern, wie der demokratische Übergang vom
National- zum Euro-Staat gemeistert werden kann.
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