Mehrere Wochen hat Ursula von der Leyen hinter
verschlossenen Türen und mit einem kleinen Beraterteam an ihrer neuen
EU-Kommission gebastelt. Das Ergebnis, das sie gestern der
Öffentlichkeit vorgestellt hat, kann sich durchaus sehen lassen: Die
Themen sind richtig gesetzt und in ihrem Team sind zahlreiche
erfahrene und durchsetzungsstarke Persönlichkeiten zu finden.
Von der Leyen geht durchaus überraschende Wege bei der Besetzung
der neu zugeschnittenen Ressorts. Für die Durchsetzung von
Rechtsstaatlichkeit ist künftig eine Osteuropäerin verantwortlich.
Die Haushaltsüberwachung übernimmt ein Italiener. Die Handelspolitik
– und damit auch die anstehenden Verhandlungen über ein
Handelsabkommen mit London – wird ein Ire leiten. Polen, das Land mit
den größten Subventionen, stellt den neuen Agrarkommissar.
Ganz offensichtlich hofft die designierte Kommissionschefin,
mögliche Brandherde innerhalb der EU durch das frühzeitige Einbinden
der betroffenen Länder und durch neues Vertrauen und Verständnis
besser handhaben zu können. Es ist eine Politik der ausgestreckten
Hand und der Wille zu einem Neuanfang. Dazu gehörte auch, die
umstrittenen Nominierungen aus Ungarn oder Polen nicht von vornherein
abzulehnen, um nicht gleich wieder neue Gräben auszuheben. Ob dieses
Vorgehen aber als Krisenprävention taugt? Das ist noch längst nicht
klar. Dass gestern zeitgleich mit der Vorstellung der Kommission
Meldungen aus Rom über den Ticker liefen, wonach die neue
italienische Regierung bereits eine höhere Neuverschuldung plant,
zeigt, dass dies alles andere als ein Selbstläufer ist.
Dass auch von der Leyen die Megathemen Klimawandel und
Digitalisierung auf ihrer Prioritätenliste ganz nach oben setzt, ist
keine große Überraschung. Ein guter Schachzug war zudem, eine Art
Anti-Populismus-Ressort einzurichten: Es heißt „Demokratie und
Demografie“ und soll gerade den Menschen Gehör und politische
Teilhabe verschaffen, die sich bisher eher als abgehängt empfanden.
Dass die neue EU-Kommission zudem eine geopolitische Ausrichtung hat
und sich als „Hüterin des Multilateralismus“ versucht, ist ebenfalls
zu begrüßen. Es geht darum, wirtschaftliche Souveränität zu
verteidigen.
Jean-Claude Juncker behauptete vor fünf Jahren, er führe die
„Kommission der letzten Chance“. Zu solcher Pathetik hat sich seine
Nachfolgerin nicht hinreißen lassen. Aber ihr Programm ist ehrgeizig
und macht durchaus Hoffnung auf neuen Schwung aus Brüssel.
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