Es ist eine Trennung mit Anstand. Thilo Sarrazin
zieht sich, erklärtermaßen im Bewusstsein auch seiner „Verantwortung
für die Institution Deutsche Bundesbank“, freiwillig aus dem Vorstand
der Währungsbehörde zurück. Er verzichtet, soweit bekannt, auf eine
Abfindung für die vorzeitige Auflösung seines bis 2014 laufenden
Vertrages. Da Sarrazin keine silbernen Löffel geklaut hat, hätte er
die geschätzt 800000 Euro mit Aussicht auf Erfolg einfordern können.
Und sollte er nun seine durch die Tätigkeit bei der Notenbank
erworbenen Rentenansprüche geltend machen, wäre das kaum vorwerfbar.
Der fünfköpfige „Restvorstand“ der Bundesbank wiederum nimmt nicht
nur den Antrag auf Sarrazins Abberufung zurück, sondern hält auch
nicht an den öffentlich erhobenen Vorwürfen fest, der Noch-Kollege
habe sich diskriminierend und „nachhaltig provokant“ vor allem zu
Themen der Migration geäußert (kleiner Tipp am Rande: wenn diese
Kritik nicht mehr gilt, sollte die Bundesbank bei Gelegenheit auch
die entsprechende Pressenotiz von ihrer Homepage entfernen).
Die einvernehmliche Scheidung einer von Anfang an unglücklichen
und entsprechend kurzen Zwangsehe ist nicht nur gesichtswahrend für
beide Seiten. Vor allem wird dadurch der deutschen und der
internationalen Öffentlichkeit ein womöglich jahrelanges unwürdiges
Schauspiel in Form von unappetitlichen politischen
Auseinandersetzungen und Arbeitsgerichtsprozessen erspart. Dem
Ansehen der Bundesbank, die in dieser Causa zwar alles andere als
unbeteiligt ist, wohl aber daran unschuldig, weil weitgehend wehrlos
gegen eine Heimsuchung in Gestalt eines zur falschen Institution
beförderten Amtsträgers, hätte ein solches Spektakel auf Dauer gewiss
nicht gutgetan.
Indes lässt sich trefflich darüber streiten, inwieweit Sarrazin,
wie von politischer Seite hier und da scheinheilig behauptet wird,
das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesbank beschädigt hat. Einer
derart überwältigenden öffentlichen Vertrauensbezeugung, wie sie
Sarrazin aus der breiten Mitte der Gesellschaft zuteil wurde, konnte
sich in persona schon lange kein Bundesbanker mehr erfreuen.
Sarrazin, der es mit seinen keineswegs ausschließlich schrägen
Ansichten geschafft hat, auf evidente Versäumnisse der
Integrationspolitik hinzuweisen und eine Debatte darüber anzustoßen,
mag die politische Klasse und weite Teile der veröffentlichten
Meinung gegen sich haben – im Publikum steht eine kolossale
Fangemeinde hinter ihm. Dies ändert freilich nichts daran, dass die
Themen und Thesen des Buchautors Sarrazin bei der Bundesbank
deplatziert, die nun gezogenen Konsequenzen mithin richtig und
notwendig sind.
Wenn aber schon so inflationär von einer Beschädigung der
Währungsbehörde die Rede ist, dürfen sich Bundeskanzlerin Angela
Merkel und Bundespräsident Christian Wulff gerne mal an die eigene
Nase fassen. Mehr oder weniger deutliche Hinweise an die Adresse der
Bundesbank, sie möge im Fall Sarrazin aktiv werden, waren überflüssig
wie ein Kropf und sicher nicht dazu angetan, die Unabhängigkeit der
Institution zu betonen. Es ist eine der Lehren aus dieser Affäre:
Solche öffentlichen und schon deshalb unklugen Ratschläge sollten
sich Politiker, zumal wenn sie vielleicht sogar noch in der Sache zu
entscheiden haben, einfach mal verkneifen, auch wenn–s schwerfällt.
Mehr Zurückhaltung hätte man auf der anderen Seite übrigens nicht
nur von Sarrazin erwarten dürfen. Mitunter scheint es fast, als
teilten etliche Notenbanker ein bestimmtes Gen, das sie dazu treibt,
sich zu fast allem und jedem zu äußern, aber bloß nicht im stillen
Kämmerlein. Solche Kommunikationsfreude muss auch bei Themen, die
näher an der Geldpolitik liegen als das Bildungsniveau von
Zuwanderern, nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Ausgemachter Humbug ist die vorzugsweise im Ausland gestreute
Story, durch den Fall Sarrazin sei Bundesbankpräsident Axel Weber
derart angeschlagen, dass er nicht mehr Nachfolger von Jean-Claude
Trichet an der Spitze der Europäischen Zentralbank werden könne. Was
hätten denn Weber und Kollegen dagegen tun sollen und können, wenn
die Politik ihnen einen Finanzprofi mit über jeden Zweifel erhabener
Kompetenz, wiewohl auch schon in seiner Berliner Zeit notorisch losem
Mundwerk in den Vorstand setzt? Dass bei der Berufung von
Bundesbankvorständen nicht selten das Parteibuch und andere
sachfremde Kriterien eine Rolle spielen (was aber auch oft durch den
sogenannten Becket-Effekt geheilt wird), ist ja zweifellos
kritikwürdig. Aber die grundsätzlich diskutable Forderung nach einem
unpolitischeren Ernennungsverfahren ausgerechnet mit den aktuellen
Erfahrungen zu begründen, macht kaum Sinn. Gerade Sarrazin hätte doch
wohl jede primär an fachlicher Qualifikation orientierte
Auswahlprüfung bestanden.
Es gibt einen weiteren Grund, in der Politik wie in der
Währungsbehörde nun nicht hyperaktiv zu werden. Die Bundesbank ist 53
Jahre alt. Es hat in dieser Zeit einen Fall Sarrazin gegeben und
keinen weiteren auch nur annähernd vergleichbaren. Das sollte die
altehrwürdige Institution gerade noch verkraften. Inflation, außer
Kontrolle geratene Staatsfinanzen oder Währungsturbulenzen sind
schlimmer als die zeitweilige Koexistenz mit einem querköpfigen
Vorstandskollegen, der mit seiner Mission dummerweise bei der
falschen Adresse gelandet ist.
(Börsen-Zeitung, 11.9.2010)
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