Börsen-Zeitung: Nackte Verzweiflung, Kommentar zu Fiat-Chrysler von Peter Olsen

Es läuft nicht rund im Verhältnis der beiden
Chrysler-Großaktionäre. Die mit Verlust agierende Fiat würde lieber
heute als morgen die rentable Chrysler übernehmen, der noch mit 41,5
% beteiligte gewerkschaftseigene Retiree Health-Care Trust will für
seine Anteile möglichst viel Geld herausschlagen. Vor Gericht kam es
zu keiner Einigung über den angemessenen Preis, jetzt soll ein
Chrysler-Börsengang Klarheit bringen.

Dabei ist ein IPO nach wie vor nicht im Interesse des
angeschlagenen italienischen Fiat-Konzerns, will er doch den
transatlantischen Zusammenschluss möglichst schnell hinbekommen, um
an die reich gefüllten Cash-Töpfe von Chrysler heranzukommen. Ein
Börsengang von Chrysler würde diese Pläne von Doppel-Chef Sergio
Marchionne durchkreuzen.

In den vergangenen Wochen wurde augenscheinlich heftigst um einen
Kompromiss gerungen – und keiner gefunden. Marchionne sagte ziemlich
kurzfristig sein Kommen auf der Internationalen Automobil-Ausstellung
(IAA) Pkw ab, was viele schon als Hinweis für die ernste Lage in
Sachen Fiat-Chrysler aufnahmen.

Worum geht es? Für die auf Kleinwagen spezialisierte und auf
Europa und Südamerika fokussierte Fiat bietet die schrittweise
Übernahme von Chrysler die Überlebensgarantie, wäre man doch mit
einem Schlag am – mit China – größten Pkw-Markt der Welt präsent und
stiege zum siebtgrößten Automobilbauer auf. Chrysler wiederum, nach
dem Ausstieg von Daimler durch eine Blitzinsolvenz gegangen und zu 90
% vom US-Geschäft abhängig, kann von der spritsparenden Technik Fiats
profitieren, um schärfere Emissions- und Verbrauchsvorschriften zu
packen.

Auf den ersten Blick sieht es nach eine Win-win-Situation aus,
zumal Fiat für die erworbenen Chrysler-Anteile vor allem Technik und
wenig Geld einsetzen musste. Die letzte und entscheidende Wegstrecke
aber scheint für Fiat sehr teuer zu werden. Zwischen dem, was Fiat zu
zahlen bereit wäre, und dem, was der UAW Trust erhofft, liegen wohl
deutlich mehr als eine Milliarde Dollar.

Denn in den IPO-Unterlagen wird Chrysler mit weniger als 8,9 Mrd.
Dollar angesetzt. Damit wären die beim Trust liegenden Anteile knapp
3,7 Mrd. Dollar wert. Dem Vernehmen nach träumt der Trust von 5 Mrd.
Dollar. Der jetzt eingeleitete IPO-Prozess für Chrysler ist ein Akt
nackter Verzweiflung. Fiat will den Börsengang nicht und droht
unverhohlen, möglicherweise Chrysler nicht mehr technisch zu
unterstützen und ganz oder teilweise auszusteigen. Der Wettbewerb
reibt sich die Hände.

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