Die gerichtliche Aufarbeitung des sogenannten
Cum-ex-Skandals kommt spät. Mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen,
seit die Bundesregierung erstmals die Praxis problematisierte, sich
nicht gezahlte Kapitalertragssteuern erstatten zu lassen. Solche
Zeitspannen sind typisch für Staaten, in denen die Regierung die
Justiz für ihre Zwecke missbraucht. Eine so lange Phase der
Rechtsunsicherheit birgt zwei Gefahren, die Autokraten gerne in Kauf
nehmen: Berechtigte Vorwürfe können versanden, nicht berechtige
Vorwürfe können die Bezichtigten dauerhaft diskreditieren.
Nun ist Deutschland ein Rechtsstaat und die Causa Cum-ex wurde
weder aus populistischen Motiven verschleppt noch zwecks
Vertuschung. Dahinter stand vielmehr ein typisch deutsches Problem:
Kein anderes Land leistet sich ein so komplexes Steuersystem, dass
die systematische Suche nach Schlupflöchern ein ganzes Heer
hochqualifizierter Juristen in Unternehmen, Banken und Kanzleien
beschäftigt. Viele von ihnen kamen zu der Auffassung, dass nichts
gegen diese Geschäfte zulasten des Fiskus spricht.
Auf diesen Freibrief könnten sich die beteiligten Firmen
vermutlich noch heute unbehelligt verlassen, wenn die Krise nicht
gekommen wäre. Erst die öffentliche Empörung über die
steuerfinanzierte Bankenrettung stellte das reichlich technokratische
Vertrauen der Banken in ihre Steuerexperten in Frage. An seine
Stelle rückte der gesunde Menschenverstand, der eine Steuererstattung
nur dort für geboten hält, wo im ersten Schritt auch Steuern gezahlt
wurden.
Zur Prozesseröffnung hat das Gericht ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass die Klage aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts
zugelassen wurde. Das lässt den Schluss zu, dass sich aus der
veränderten öffentlichen Wahrnehmung auch eine neue Rechtsauffassung
ableitet. Diese würde den Banken abverlangen, der Logik in
Steuerfragen einen mindestens ebenso hohen Stellenwert einzuräumen
wie dem Wortlaut der Gesetze.
Auch die Kanzlei Freshfields, deren Experten die Cum-ex-Praxis für
unbedenklich erklärten, scheint sich übrigens darauf einzustellen.
Anders lässt es sich kaum erklären, dass die Sozietät sich kürzlich
auf einen Vergleich mit der an Cum-ex-Geschäften zugrundegegangenen
Maple Bank einließ, der sie 50 Mill. Euro kostet.
Selbstredend stellt dieser kein Schuldeingeständnis dar. Den
Rechtsstreit um Schadenersatz bis zum Erfolg durchzufechten, hielt
die renommierte Kanzlei jedoch offenbar auch nicht für
aussichtsreich.
(Börsen-Zeitung, 05.09.2019)
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de
Original-Content von: Börsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell