Börsen-Zeitung: Schönwetterpolitik, Kommentar von Ulli Gericke zur Regierungserklärung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle zur wirtschaftlichen Lage

Von wegen Würde. Das Hohe Haus zeigte sich
gestern etwas unaufgeräumt. Überall im Parlament lagen noch Zettel
herum, nicht jeder der Abgeordneten konnte wie sonst üblich auf
seinem komfortablen Stuhl Platz nehmen. Bundestagspräsident Norbert
Lammert bat um Verständnis, dass die Spuren der dramatischen
Bundespräsidentenwahl vom Vortag noch nicht restlos beseitigt wurden.
Umso aufgeräumter zeigte sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle bei
seiner Regierungserklärung zur wirtschaftlichen Lage hierzulande. Die
fiel – angesichts voller Auftragsbücher in der Industrie und
erstaunlich geringer Arbeitslosigkeit nicht verwunderlich – äußerst
positiv aus: „Deutschland ist wieder da.“

Kein Zweifel: Das Timing für Brüderles Erklärung war günstig
gewählt. Die Auflistung von Aufschwung, Sparen und künftig geringeren
Steuern ließ die blamable Präsidentenkür vom Vortag in den
Hintergrund treten. Zudem bescheren der wiederaufgelebte fernöstliche
Wirtschaftsboom und ein günstiger Euro-Wechselkurs der hiesigen
exportorientierten Industrie eine kräftige Sonderkonjunktur, die den
Wirtschaftsminister umso strahlender erscheinen lässt. Dabei hatte
Brüderle doch erst vor wenigen Wochen mit der Ablehnung der
Opel-Hilfen alles richtig gemacht. „Wir haben dem deutschen
Steuerzahler einen Haufen Geld gespart“, lobte sich der Minister denn
auch nachträglich.

Nicht ohne zugleich anzukündigen, den Wirtschaftsfonds Deutschland
Ende des Jahres auslaufen zu lassen, der bisher 15000 Firmen mit
Krediten und Bürgschaften unterstützt hat. Eine richtige – und
überfällige – Entscheidung. Wenn nicht in Zeiten, in denen Bundesbank
und Ökonomen ein Wirtschaftswachstum von ca. 2% prognostizieren, wann
sonst sollen Krisenhilfen wieder abgeschafft werden? Doch so stolz
der Minister auch ist, dass Deutschland nicht nur den Transrapid
erfunden hat, sondern auch die Konjunkturlokomotive Europas ist, so
geschickt umgeht er mögliche wirtschaftliche Gefahren. Was, wenn der
chinesische Aufschwung endet – was die Märkte aktuell panisch
fürchten – und die Exporte wegbrechen? Das von Brüderle für die EU
geforderte strukturpolitische Frühwarnsystem wird keine Lösungen
bieten. Genauso wenig hat Berlin wirtschaftsstabilisierende
Vorschläge in petto, wenn es anders kommt als erhofft. Aber momentan
scheint ja noch die Sonne.

(Börsen-Zeitung, 2.7.2010)

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de