Börsen-Zeitung: Schweigen für Athen, Kommentar zum Streit in der Regierungskoalition über die Schuldenkrise Griechenlands, von Angela Wefers

Erst lehnt sich FDP-Chef und Vizekanzler Philipp
Rösler aus dem Fenster und spricht sich für eine „geordnete
Insolvenz“ Griechenlands aus, dann gießt FDP-Generalsekretär
Christian Lindner Öl ins Feuer und verwahrt sich gegen ein
Schweigegelübde für die „längst überfällige Debatte“ einer möglichen
Zahlungsunfähigkeit der Hellenen. Nun hat auch die CSU das Thema für
sich entdeckt und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, in dieser
Funktion Regierungsmitglied, mit der Überlegung vorgeschickt, eine
Währungsunion ohne Athen wäre „kein Weltuntergang“. Der
Koalitionsstreit ist perfekt.

Die FDP, so könnte man vermuten, will in der letzten Woche vor der
Landtagswahl in Berlin drohendes Unheil abwenden: ihr Scheitern im
Abgeordnetenhaus an der Fünf-Prozent-Hürde. Jedenfalls hat sie ihr
ordnungspolitisches Gewissen, mit dem sie jetzt die von ihr mitten in
einer labilen Finanzmarktsituation forcierte Debatte begründet,
reichlich spät wiederentdeckt. Ökonomen predigen schon seit geraumer
Zeit, dass Griechenland es ohne Schuldenschnitt kaum schaffen wird,
wieder auf die Füße zu kommen.

Die Wirkung der öffentlichen Debatte ist verheerend. Und der
Versuch der Liberalen, damit Kontur zu gewinnen, sowie der CSU, in
bewährter Form zu zündeln, ist reichlich durchsichtig. Als
politisches Profilierungsfeld ist die Hellas-Krise denkbar
ungeeignet. Der Streit offenbart nicht Bedachtsamkeit in der Sache,
sondern nur, dass die Regierung eines der wichtigsten und
finanzstärksten Euro-Länder zerstritten ist und instabil werden
könnte. Beste Voraussetzungen, dass eine Insolvenz in der Eurozone
nicht geordnet abläuft.

Dabei geht es nicht um Denkverbote. Die Regierung ist geradezu
verpflichtet, Szenarien durchzuspielen, mit Modellrechnungen die
Belastung dort engagierter Banken zu prüfen und auch Gedanken darauf
zu verwenden, was geschehen soll, wenn Athen die Bedingungen des
Hilfsprogramms nicht erfüllt. Etwas anderes ist es, darüber
öffentlich schon dann zu reden, wenn dieser kritische Punkt noch gar
nicht erreicht ist. Denn anders als bei einer Firmenpleite
verschwindet Hellas selbst bei einer geordneten Insolvenz nicht von
der Landkarte und bleibt nach Maßgabe der EU-Verträge auch Teil des
Euro.

FDP und CSU brauchen eine Schweigerose. Das im Mittelalter an
Rittersälen, Klöstern und Beichtstühlen genutzte Symbol einer
stilisierten Rose stand für Verschwiegenheit, dafür, dass das
gesprochene Wort nicht den Raum verlässt. Erblühte die Schweigerose
doch wieder – die Märkte würden es danken.

(Börsen-Zeitung, 15.9.2011)

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