Börsen-Zeitung: Schwellenländer in der Krise, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Im laufenden Jahr weisen Assets aus den Emerging
Markets eine äußerst enttäuschende Performance auf: So hat Chinas
Leitindex Shanghai Composite bereits um fast 10 % nachgegeben, der
indische BSE Sensex büßte rund 5 % ein, der ISE 100 der Börse
Istanbul erreicht sogar ein Minus von knapp 14 % und Brasiliens
Bovespa gar -16 %.

Hinzu kommen für Investoren aus den entwickelten Ländern noch die
Verluste der Währungen der Emerging Markets. Erst wenn man diese
Währungsverschiebungen einbezieht, wird das Ausmaß der Misere für
Investoren aus Europa deutlich: Wer beispielsweise die Aktien aus dem
Bovespa im Portfolio hat, musste seit Anfang des Jahres Verluste von
31 % einstecken. Beim BSE Sensex beträgt das Minus beispielsweise für
deutsche Anleger 22 % und beim türkischen ISE100 rund 25 %.

Aktuell scheint sich damit wieder einmal eine Börsenweisheit zu
bestätigen: Wenn die entwickelten Märkte husten, haben die Emerging
Markets bereits die Grippe. Folgt man dieser Börsenweisheit, so
ergibt sich, dass die Ursachen für ausgeprägte Baisse-Phasen an den
Märkten der Schwellenländer in der Ersten Welt zu suchen sind. Dies
ist auch aktuell zweifellos der Fall – allerdings kann damit keine
vollständige Erklärung der aufziehenden Krise der Assets aus den
Emerging Markets gegeben werden.

Eine der Hauptursachen ist das „Tapering“, also die Bemühungen der
US-Notenbank Federal Reserve, ihre unkonventionellen
Konjunkturstützen wie das pro Monat 85 Mrd. Dollar schwere
Bondkaufprogramm zurückzufahren und damit allmählich und behutsam
eine Normalisierung der mittlerweile seit vielen Jahren ultralockeren
Geldpolitik einzuleiten.

Viele Emerging-Markets-Anleger rechnen offensichtlich damit, dass
das bisher durch extrem niedrige Zinsen gekennzeichnete Umfeld in den
entwickelten Märkten bald der Vergangenheit angehören könnte, zumal
US-Treasuries bereits einen spürbaren Anstieg der Zinsen verzeichnet
haben. Anleger müssen damit in geringerem Maße in die Emerging
Markets ausweichen, um annehmbare Rendite zu erzielen. Volkswirte wie
die bekannte Harvard-Ökonomin Carmen Reinhart erwarten, dass sich die
Verluste der Emerging Markets in einem Umfeld steigender Zinsen noch
stark ausweiten können.

Es ist allerdings fraglich, ob sich die Anstiege der Zinsniveaus
weiter fortsetzen. An den Bondmärkten wird bereits mehrheitlich davon
ausgegangen, dass das Ausmaß der Reaktionen übertrieben sein könnte.

Dennoch kann aber bestenfalls eine teilweise Entwarnung für die
Emerging Markets gegeben werden. Es hat sich nämlich in den
vergangenen Monaten gezeigt, dass die politischen und ökonomischen
Risiken in den Schwellenländern größer sind, als dies Anleger in den
vergangenen Jahren wahrhaben wollten. Die Bandbreite der Probleme in
den Ländern ist groß. Sie reicht von plötzlich erratisch und
autoritär agierenden Regierungen wie in der Türkei über
bürgerkriegsähnliche Zustände und religiös motivierte Konflikte wie
in Ägypten bis hin zu der Vernachlässigung der für die Zukunft
wichtigen Infrastruktur wie in Indien. Hinzu kommt in vielen
Volkswirtschaften die ungesund hohe Abhängigkeit von ausländischem
Kapital.

Konflikte im Blick

Investoren sollten daher wählerisch sein: Anlagestrategen gehen
davon aus, dass von den Verlusten neben den Staaten mit politischen
Konflikten besonders diejenigen Länder betroffen sein werden, die
hohe Leistungsbilanzdefizite aufweisen, die also stark auf
ausländisches Kapital angewiesen sind.

Die aktuellen Turbulenzen scheinen auch noch nicht überstanden zu
sein. Wie den jüngsten Daten zu entnehmen ist, haben sich die
Mittelabzüge zuletzt wieder spürbar beschleunigt. Eine Trendwende ist
also noch nicht in Sicht, so dass es noch deutlich zu früh ist, um
bereits wieder von Einstiegsgelegenheiten zu sprechen.

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