Börsen-Zeitung: Selbstbindung mit Risiken, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs

Die Überraschung ist gelungen: Erstmals in ihrer
Geschichte hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) in Sachen
Zinspolitik im Voraus festgelegt: Die Leitzinsen würden „für einen
längeren Zeitraum“ auf dem aktuell rekordniedrigen Niveau oder gar
noch darunter bleiben. Wenngleich die Motivation dahinter
verständlich ist und der Schritt verglichen mit anderen Optionen
Vorteile hat – ohne Risiken ist er nicht.

Draghi selbst nannte den Schritt gestern „beispiellos“. Das Wort
„historisch“ scheint also angemessen. Tatsächlich hatte die EZB stets
betont, dass sie sich niemals im Vorhinein festlege. Das war zwar
schon aufgeweicht worden mit dem Versprechen, dass die Geldpolitik
„so lange wie nötig“ locker bleibe. So explizit wie jetzt war diese
Selbstverpflichtung aber nicht.

Mit der Maßnahme stemmt sich die EZB gegen den jüngsten Anstieg
vor allem der langfristigen Zinsen an den Geldmärkten und bei den
Euro-Staatsanleihen, der ausgelöst worden war durch das angekündigte
Auslaufen der ultralockeren Geldpolitik in den USA. Denn de facto
kommt dieser Anstieg einer Straffung der Geldpolitik im Euroraum
gleich, die die EZB derzeit nicht will – und die auch nicht
angemessen ist: Die Wirtschaft scheint sich gerade erst aus der
Rezession herauszukämpfen, die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordhoch
und die Inflation liegt deutlich unter Zielwert.

Statt nun hektisch mit einer Leitzinssenkung gegenzusteuern,
versucht die EZB erst einmal, mit Worten die Zinsen wieder zu drücken
und die Eurozone abzukoppeln von der Fed. Sie kann so zunächst
abwarten, wie sich die Lage an den Märkten entwickelt. Einige
Notenbanker werden hoffen, so um eine Zinssenkung herumzukommen.

Der Schritt birgt aber auch Risiken. Die Turbulenzen um den Kurs
der Fed, die auch auf diese „Forward Guidance“ gesetzt hat, belegen
ja nicht zuletzt die Probleme, wenn eine Notenbank die Vorfestlegung
wieder loswerden und eine Kurswende einleiten will. Hinzu kommt, dass
sich die EZB stets gerühmt hatte, dass ihr der „Exit“ leichter fallen
werde. Weil sie vor allem auf Liquiditätshilfen für die Banken setzt,
gelinge er quasi „automatisch“, da die Institute mit Besserung der
Lage weniger Geld nachfragten. Dieser Vorteil ist nun zumindest
eingeschränkt.

Vor allem aber bleibt es am Ende bei einer Erkenntnis: Mit all
ihren Maßnahmen kann die EZB die Ursachen der Krise nicht beseitigen.
Vordringlich wäre etwa gerade eine Bereinigung der Bankbilanzen. Da
aber ist am Ende die Politik gefragt. Sie muss endlich entschiedener
handeln.

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de

Weitere Informationen unter:
http://