Als mit dem Untergang von Lehman Brothers
erstmals ein Emittent ausfiel und Tausende Anleger ihr in den
Produkten des US-Hauses investiertes Geld verloren, schien der
Zertifikatemarkt keine Zukunft mehr zu haben. Rund zwei Jahre später
reibt man sich verwundert die Augen. Erstmals in der Geschichte des
Marktes sind an den deutschen Börsen mehr als 500000 Produkte
gelistet! Als hätte es nie eine Krise gegeben, beschleunigt sich die
Massenproduktion der Branche immer weiter.
Hintergrund ist der harte Wettbewerb der Zertifikatebranche. Um
Marktanteile zu gewinnen oder zu halten, werden für möglichst jeden
Anlegertyp und möglichst jede Marktlage die passenden Produkte auf
möglichst viele Basiswerte aufgelegt. In diesem Rennen sind
diejenigen Emittenten die Gewinner, bei denen Anleger auf der Suche
nach einem geeigneten Produkt in der Regel auch fündig werden.
Begünstigt wird die Entwicklung auch durch die Gebührenstrukturen.
Pro Emittent gilt eine Obergrenze bei den Listing-Gebühren von 50000
Euro pro Monat. Wer diese Grenze erreicht, kann quasi unbegrenzt
weiter emittieren, ohne dass sich die Listing-Gebühren erhöhen.
Doch wozu soll dieses Treiben gut sein? Für den Anleger hat es
zunächst den angenehmen Effekt, dass ihm mehr Investmentmöglichkeiten
zur Verfügung stehen als jemals zuvor. Einen hochhebligen
Knock-out-Schein auf den Nebenwert XY, weil der vor einem Ausbruch
nach oben stehen könnte? Kein Problem, ein entsprechendes Produkt
wird sich schon finden. Mit über 500000 Produkten ist jedoch eine
Dimension erreicht, die weit über den Bedarf der deutschen Anleger
hinausgeht, von der Möglichkeit, den Dschungel noch zu durchblicken,
ganz zu schweigen. Wie viel Überfluss hier produziert wird, belegt
die Tatsache, dass in mehr als 80% der Zertifikate nie auch nur eine
einzige Transaktion stattfindet.
Die Überproduktion hat zudem negative Folgen. Da für die an Zahl
zunehmenden Produkte ständig Kauf- und Verkaufskurse zu stellen sind,
müssen umfangreiche IT-Kapazitäten vorgehalten werden, die zudem in
der Lage sein müssen, auch in turbulenten und damit sehr aktiven
Marktphasen dem zu erwartenden Datensturm standzuhalten. Das
erfordert erhebliche Investitionen und kommt die Börsen und die
Zertifikatebranche teuer zu stehen.
(Börsen-Zeitung, 3.11.2010)
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